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Ein Akt der Gewalt

Ein Akt der Gewalt

Titel: Ein Akt der Gewalt
Autoren: Ryan David Jahn
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sein Gesicht deutlich sieht, vor dem die orangefarbene Glut seiner Zigarette umhergeistert wie ein gezähmtes Glühwürmchen.
    Sie fragt sich, was er wohl um vier Uhr morgens hier draußen vorhaben mag. Sie weiß, dass Franks Frau Krankenschwester ist und häufig Nachtdienst hat – wenn Kat von der Arbeit in der Bar nach Hause kam, hat sie oft Licht in der Wohnung gesehen. Aber sie ist keinem von beiden, weder Frank noch seiner Frau, um diese Zeit auf der Straße begegnet.
    Kat steuert ihren Wagen auf den Long-Island-Railroad-Parkplatz, der sich genau gegenüber den Hobart Apartments befindet, in denen sie wohnt. Sie fährt mit ihrem Studebaker auf den Platz, den Franks Buick gerade frei gemacht hat, und stellt den Motor ab. Das Radio verstummt.
    Erst einmal hat sie für den kurzen Heimweg von der Bar mehr als ein paar Minuten – die Länge eines Songs – gebraucht. Sie hatte damals einen anderen Weg genommen, um einen der Stammgäste daheim abzuliefern, der sein letztes Geld für einen Drink ausgegeben hatte und sich kein Taxi mehr leisten konnte. Und auch kein Trinkgeld für sie übrig hatte. Während der Fahrt war nichts Schlimmes geschehen, aber es blieb doch das erste und letzte Mal, dass Kat einen Gast nach Hause gefahren hat. Sie war die ganze Zeit nervös gewesen, hatte mit schwitzenden Händen das Lenkrad umklammert, aber entscheidender war das Gefühl gewesen, eine Grenze überschritten zu haben, die nicht hätte überschritten werden dürfen.
    Ein leichter Wind bläst um die Äste der Eichen am Straßenrand. Ein paar Blätter werden fortgeweht, aber die meisten halten sich.
    Als Kat sich aus dem Auto zwängt, sieht sie einen schwarzweißen Streifenwagen, der leise an ihr vorbeischleicht. Das Rotlicht springt aus seinem Dach hervor wie die Spitze eines Lippenstifts. Sie erkennt im Wageninneren das blasse Gesicht eines einzelnen Polizisten, der in ihre Richtung sieht. Dann ist er fort. Sie schaut dem roten Glühen der Rücklichter nach, bis der Wagen am Ende des Blocks um eine Ecke biegt.
    In der Ferne ertönt eine Autohupe.
    Ein Hund heult den Mond an, dann ein lauter Ruf, Schnauze , ein schallender Schlag, der Hund jault, und dann Stille.
    Sie ist müde. So verflixt müde.
    Kat ist der Ansicht, die Menschen sollten Winterschlaf halten wie die Bären. Der Winter zehrt an der Seele. Wenn die Menschen ihn verschlafen könnten, würden sie im Frühling erholt aufwachen, bereit für den Rest des Jahres.
Sie könnten ihm mit Hoffnung entgegensehen, vielleicht sogar voller Optimismus. Aber nein, wenn sich der Frühling anbahnt, wie er es jetzt tut, sind die Menschen mürbe vom Winter. Kalt und mürbe. Und kurz davor, zu zerbrechen.
    Kat schlägt die Wagentür zu, sieht, dass sie vergessen hat abzuschließen, reißt die Tür nochmal auf, drischt den Knopf runter und schließt sie wieder.
    Sie kann es kaum abwarten, endlich in die Badewanne zu steigen.
    Aber Kat ist ihrer Wohnungstür, von der die Farbe abblättert, gerade erst zwei kleine Schritte näher gekommen, als sie wie angewurzelt stehen bleibt.
    Sie schluckt angstvoll.
    Plötzlich ist ihr Mund schrecklich trocken.
    Im Dunkel der Nacht sieht sie eine grobschlächtige Gestalt in der Nähe einer der vernarbten Eichen stehen, die den Eingang der Hobart Apartments bewachen und sie von ihrem warmen Bad trennen.
    Die grobschlächtige Gestalt tritt aus dem Schatten der Bäume hervor und kommt ihr entgegen.
    Sie – er – scheint von ihr angezogen zu werden wie von einem Magnet, er scheint nicht zu gehen, sondern ihr wie ein Jo-Jo an seinem Faden entgegenzugleiten. Da ist nichts zu merken von dem schwerfälligen Schlurfen, mit dem ein ungeschlachter Mann sich normalerweise von einem Ort zum anderen schleppt. Dieser Kerl fliegt auf sie zu, und es wirkt bedrohlich.
    Kat presst sich die Handtasche an die Brust wie eine Art Talisman, einen Schutzschild gegen die Nacht, und möchte sich am liebsten an dem Mann vorbeischlängeln, um schnellstens in ihre Wohnung zu gelangen.
    Und plötzlich ist alles grell hell. Und laut.

    Sie sieht jedes Detail, sieht die Hautporen des Mannes, groß und von Schmieröl verstopft, Mitesser, die seine Nase übersäen. Der Fleck auf seinen Jeans hat die Form eines der Staaten des Mittelwestens, deren Namen sie sich nie merken kann, und ist kaffeebraun. Die Roststellen auf der Klinge des Messers, das er in den Hand hält, erinnern an Sommersprossen. Sie hört irgendwo ein Radio plärren. Gedämpfte Stimmen. Drei Blocks weiter gibt gerade
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