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Ein Akt der Gewalt

Ein Akt der Gewalt

Titel: Ein Akt der Gewalt
Autoren: Ryan David Jahn
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dreht einmal – ganz langsam.
    »Komm schon, Kleiner«, sagt Kat.
    Sie pumpt mit dem Gaspedal.
    Der Motor dreht wieder, diesmal ein bisschen schneller. Und noch einmal. Kommt auf Touren. Sie nimmt Gas weg. Will den Motor nicht absaufen lassen. Er dreht wieder. Hustet. Furzt. Und springt dann tatsächlich an.
    Gott sei Dank. Kat wischt sich über die Stirn, froh, dass sie kein Taxi rufen muss, und im selben Moment fällt ihr ein, wie schmutzig ihre Hände sind. Sie wirft einen Blick in den Rückspiegel und lacht.
    Ein schwarzer Schmutzfleck, auf ihrer Stirn verschmiert wie bei einem Landstreicher im Stummfilm.
    Und sie kann ihn nicht einmal wegwischen; jeder Versuch würde es schlimmer machen. Aber Kat kümmert es nicht. Es war eine lange Nacht. Sie hat zehn Stunden durchgearbeitet und ist müde. Aber jetzt muss sie ja nur noch nach Hause.
    Mehr hat sie nicht zu erledigen, bis die Sonne aufgeht.

2
    Kat zieht einen Knopf am Armaturenbrett, und die Scheinwerfer schicken zwei gelbe Lichtstrahlen in die Nacht. Sie sieht Staubflocken und Insekten im Licht schaukeln und erinnert sich an einen Augenblick in ihrer Kindheit, als sie drei Jahre alt war oder vielleicht vier und im Bett ihrer Eltern lag, das ihr riesig vorkam, so groß wie eine Insel. Eigentlich sollte sie ihren Mittagsschlaf halten. Deswegen hatte man sie aufs Bett gelegt. Aber sie war hellwach und schaute auf einen Sonnenstrahl, der zum Fenster herein auf ihre bloßen Beine fiel. Die Wärme tat gut, und sie sah Staubflocken im Licht taumeln. Sie hielt sie für lebendig, lachte darüber, wie sie tanzten, und griff nach ihnen, um sie einzufangen, aber es wollte ihr nie gelingen. Sie wussten immer ganz genau, wann Kat zugreifen wollte, und tanzten in letzter Sekunde davon, bevor ihre pummeligen kleinen Finger in Reichweite kamen und sich zur Faust schlossen.
    Kat dreht an einem anderen Knopf und schaltet das Radio ein. Eine kratzige Männerstimme, kehlig und tief, sagt: »… und Präsident Johnson machte heute in einer Stellungnahme deutlich, dass Kubas Entschluss, die Versorgung des Flottenstützpunkts Guantánamo Bay mit Frischwasser einzustellen, absolut inakzeptabel sei. Eine weitere Meldung betrifft Jimmy Hoffa, der vergangene Woche des Versuchs für schuldig befunden wurde, Geschworene eines Bundesgerichts zu bestechen …«

    Kat verzieht das Gesicht und dreht am Senderknopf.
    Die Nachrichten sind doch reines Blabla und bestätigen nur immer wieder, dass sie selbst klein ist und die Welt groß, dass sie nicht das Geringste tun kann, um den entscheidenden Ereignissen Einhalt zu gebieten oder ihren Lauf auch nur zu verändern. Kat ist es wichtig, sich auf Dinge zu konzentrieren, die sie ändern kann, das Leben der Menschen in ihrer Umgebung, ihr eigenes Leben. Kleinigkeiten, erreichbare Ziele.
    Einen Drink ausschenken zum Beispiel. Oder einen Reifen wechseln.
    »… ist eine nächtliche Tiefsttemperatur von fünf Grad zu erwarten, ebenso wie frühmorgendliche Schauer, und …«
    Wieder dreht sie am Senderknopf.
    »Und jetzt Buddy Holly und die Crickets mit ›Not Fade Away‹, aufgenommen nur zwei Jahre vor Mr. Hollys allzu frühem Tod. Kaum zu glauben, dass es schon fünf Jahre her ist, oder? Hier ist Dino von WMCA, eurer Radiostation, und sagt euch: Bei uns lebt Buddy weiter.« Und schon legen die Crickets los, im Bo-Diddley-Beat, wie auf Pappkartons gehämmert.
    Kat dreht die Musik auf und fährt los.
     
     
    Während Buddy Holly von jenseits des Grabes singt und verrät, »… how it’s gonna be«, fährt Kat durch eine nächtlich ausgestorbene Stadt. Sie kommt an einem Kino vorbei, auf dessen Anzeigetafel für den Film Dr. Strangelove geworben wird, an einem Buchladen, in dessen Schaufenster Gold-Medal -Paperbacks ausgelegt sind, und an einem Stapel taufeuchter Morgenzeitungen, mit Bindfaden verschnürt und vor einem Kiosk abgelegt, der über Nacht mit einem Vorhängeschloss gesichert ist.

    Noch eine Viertelstunde, dann wird ein fetter Kerl mit zwanzig Jahre alten Aknenarben und ebenso alter Wut darüber, dass man ihn schon in der ersten Klasse der Grundschule verarscht hat, erscheinen, den Kiosk aufschließen und den Bindfaden um den Zeitungsstapel zerschneiden.
    Die Zeitungen behaupten, es sei der 13. März, aber Kat braucht nur einen Blick durch die Windschutzscheibe auf den dunklen Horizont zu werfen, um zu wissen, dass es noch drei oder mehr Stunden dauert, bevor es für die meisten Menschen 13. März wird – egal, was die Zeitungen
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