Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Edgar und die Schattenkatzen (German Edition)

Edgar und die Schattenkatzen (German Edition)

Titel: Edgar und die Schattenkatzen (German Edition)
Autoren: Marliese Arold
Vom Netzwerk:
Decke … Emma hatte ihn den Verlust seiner Mutter schnell vergessen lassen. Nach ein paar Tagen bei ihr begann ein aufregendes Leben: Er war auf Entdeckungsreise gegangen, hatte erfahren, dass seine kleinen Krallen bestens zum Klettern geeignet waren, beispielsweise die Vorhänge hoch … Er hatte noch genau das Bild vor Augen, als er das erste Mal auf der Gardinenstange gelandet war und sich nicht mehr heruntergetraut hatte. Miss Emma Sallow war trotz ihres vorgerückten Alters auf einen Stuhl gestiegen und hatte ihm einen Besen vor den Bauch gehalten. Es hatte eine Stunde gedauert, bis Edgar es gewagt hatte, auf den borstigen Untergrund zu steigen und sich dann vorsichtig herunterheben zu lassen.
    »Du hast also dein ganzes Leben bei dieser Emma verbracht?«, fragte der Fremde.
    »Ja.«
    »Hat sie dich nicht ins Freie gelassen? Bist du niemals über die Dächer spaziert? Hast du nie Tauben gejagt?«
    »Ich war meistens in der guten Stube. Bei schönem Wetter saß ich manchmal am offenen Fenster und schaute hinaus.«
    »Oh, du armes Ding. Du weißt ja anscheinend gar nichts vom wahren Leben.«
    Irrte sich Edgar, oder hörte er jetzt tatsächlich etwas Mitgefühl in der Stimme des anderen Katers heraus? Oder war es Spott?
    »Ist es … bei dir anders?«
    »Das will ich meinen. Sieht man das nicht?« Der Fremde baute sich vor Edgar auf. Da es inzwischen ein bisschen heller geworden war, konnte der kleine Kater ihn deutlicher erkennen. Das Fell schimmerte rot und hatte einige kahle Stellen, wo sich Narben und verkrustete Wunden befanden. Das linke Ohr war zerfetzt. Trotzdem machte der Kater einen imposanten Eindruck. Er sah aus wie ein Kämpfer, der sich durch nichts erschüttern ließ.
    »Du siehst … tapfer aus«, murmelte Edgar.
    Der fremde Kater machte sich noch größer. »Das bin ich auch«, trumpfte er auf. »Der beste Kämpfer von London. Du kannst froh sein, dass du mich getroffen hast.«
    »Oh. Und wie heißt du?«
    »Algernon. Jede Katze, jede Ratte, jede Maus kennt diesen Namen. Selbst die Fische in der Themse kennen ihn, obwohl die nicht reden können. Ich bin berühmt und gefürchtet – Algernon, der König der Straße.«
    Edgar schwieg beeindruckt.
    »Jetzt hat’s dir wohl die Sprache verschlagen, Kleiner? Normalerweise gibt sich Old Algernon nicht mit solchem Grünzeugs wie dir ab, aber diesmal will ich eine Ausnahme machen. Du brauchst einen, der dir sagt, wo’s langgeht, sonst wirst du hoffnungslos untergebuttert. Ich … hm … würde dir drei, vier Tage geben, höchstens. Dann bist du deine neun Leben los und schwimmst als Leiche im Fluss. So, jetzt aber genug geschwatzt! Komm mit, Ed, wir werden dir jetzt was zu essen jagen, bevor du noch ganz vom Fleisch fällst.«
    Algernon setzte sich in Bewegung, und Edgar schloss sich ihm an. Er wusste nicht genau, was er von seiner neuen Bekanntschaft halten sollte, aber er war froh, nicht mehr allein zu sein. Und Algernon kannte sich offenbar bestens aus …
    »Wie … wie ist das eigentlich?«, fragte Edgar, nachdem er eine Weile hinter dem roten Kater hergetrottet war. »Warum hast du von neun Leben geredet?« Das Thema interessierte ihn brennend.
    Algernon blieb stehen und wandte den Kopf. »Du weißt gar nichts, wie? – Also, für eine Katze gibt es viele Gefahren. Sie kann so dusselig sein und von einem Dach runterfallen. Oder sie kann einen Fisch fressen und an einer Gräte ersticken. – Er … «, dabei hob Algernon den Kopf und schaute nach oben, aber Edgar konnte dort niemanden sehen, » Er meinte es gut mit uns Katzen – und deswegen können wir schon eine Menge aushalten. Wir sterben nicht gleich, sondern bekommen noch mal eine Chance. Und dann noch mal. Insgesamt neun Mal. Dann ist Sense. Kapiert, Schnucki?«
    »Ja«, sagte Edgar kleinlaut. »Dann … dann habe ich nur noch acht Leben. Vorhin hat mich eine Kutsche erfasst – und da war ein Mann, der sagte so einen komischen Spruch auf.«
    »Ach, du meinst den Kuttenmann.« Algernon grinste Edgar an und zeigte dabei seine Zähne, die nicht in allerbestem Zustand waren. »Der kommt immer. Der ist mir auch schon ein paarmal über den Weg gelaufen.«
    »Du kennst ihn?«
    »Sicher. Wir haben uns schon öfter unterhalten. Schräger Typ.«
    »Wie viel … wie viele Leben hast du noch, Algernon?«, fragte Edgar bang, der langsam die Zusammenhänge zwischen Tod und Leben und dem Mann mit der Sense begriff.
    »Ich weiß nicht. Acht oder vier, vielleicht auch nur noch sechs. Ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher