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Edgar und die Schattenkatzen (German Edition)

Edgar und die Schattenkatzen (German Edition)

Titel: Edgar und die Schattenkatzen (German Edition)
Autoren: Marliese Arold
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laut und es herrschte reger Verkehr. Die hölzernen Rollläden vor den Geschäften wurden hochgezogen. Dienstmädchen schrubbten mit Bürste und Wasser die Hauseingänge. Kaminkehrer waren unterwegs, Gemüse- und Käsehändler schoben ihre Handkarren in Richtung Innenstadt. Auf dem Straßenpflaster ratterten die Räder der Wagen und Kutschen, Peitschen knallten, Fußgänger wichen fluchend zur Seite, wenn es eng wurde.
    Edgar drückte sich ängstlich an den Hauswänden entlang, verwirrt von all dem Lärm und den Gerüchen. An manchen Ecken duftete es nach frisch gebackenem Brot, und gelegentlich drang aus einer Garküche der verlockende Duft nach Gebratenem, sodass es Edgar fast schwindelig wurde. Sein Hunger war allmählich nicht mehr auszuhalten, das Bauchkneifen so schmerzhaft, dass er manchmal wimmernd innehielt. Er verstand die Welt nicht mehr. Bisher war er so beschützt und behütet gewesen, Emma hatte ihm täglich sein Futter gegeben, ihn gestreichelt und mit ihm geschmust – und auf einmal war alles anders … Schrecklich!
    Der Kater versuchte, die Straße zu überqueren, denn von der anderen Seite drang ein verführerischer Duft zu ihm. Vielleicht würde er dort etwas zu essen finden.
    Er schaute nach links und nach rechts, ohne einen Schritt zu wagen. Wieder rollten die Räder knapp vor seiner Nase vorbei, die Speichen wirbelten im Kreis, die Hufe der Pferde klapperten auf dem Pflaster. Eines der Tiere ließ direkt vor ihm einen Haufen Pferdeäpfel fallen, sie dampften in der Kälte.
    Edgars Pfote zuckte vor und wieder zurück. Gab es jetzt eine Lücke? Er war es nicht gewohnt, Entfernungen und Geschwindigkeiten einzuschätzen. Jetzt! Er schoss los.
    Von der Gegenseite kam eine Kutsche, die er nicht gesehen hatte. Ein großes Rad erfasste ihn und schleuderte ihn durch die Luft. Edgars Körper schlug hart auf dem Pflaster auf.
    Der kleine Kater blieb zunächst wie benommen liegen. Dann hob er langsam den Kopf, stand vorsichtig auf und schüttelte sich. Der Schreck saß ihm noch in den Gliedern, aber offenbar war ihm nichts passiert.
    Als er weitergehen wollte, stieß er auf zwei Beine, die ihm im Weg standen. Die Zeit schien auf einmal stillzustehen. Der Lärm auf der Straße klang gedämpft. Es war, als ob Edgar plötzlich allein mit seinem Gegenüber wäre.
    Die Füße steckten in derben schwarzen Lederstiefeln und ein langer dunkler Umhang reichte fast bis zu den Knöcheln. Edgar blickte ängstlich hoch. Es war ein großer Mann, der die Kapuze tief ins Gesicht gezogen hatte. In der rechten Hand hielt er einen Stab … nein, etwas anderes – eine Stange mit einer großen geschwungenen Klinge am oberen Ende. Eine Sense.
    Edgars Fell sträubte sich. Die Gestalt hatte etwas Unheimliches an sich.
    Der Mann zog mit einer Handbewegung seine Kapuze ein Stück zurück und Edgar erblickte einen weißen Totenschädel. Der Kiefer bewegte sich, und der Schädel fing an zu sprechen:
     
    »Neun Leben wurden dir gegeben,
    daraus kannst du dein Schicksal weben.
    Neune nanntest du dein Eigen,
    eines muss ich jetzt abzweigen.
    Nutz die anderen mit Bedacht,
    du hast der Leben nur noch acht.«
     
    Edgar starrte die Gestalt an. Er war in diesem Augenblick unfähig, sich zu rühren. Der Schädel grinste und klackte mit den Zähnen. Dann schwang der Kuttenmann die Sense – und verschwand vor Edgars Augen.
    Der sonderbare Moment war vorbei, die Zeit lief weiter und der Straßenlärm drang wieder laut in Edgars Ohren.
    Der Kater fauchte wütend und verwirrt die leere Stelle an. Was sollte das? So hatte noch nie jemand mit ihm gesprochen! Und was hatte das zu bedeuten – neun Leben?
    Doch es war niemand da, der ihm Antwort geben konnte. Edgar setzte sich in Bewegung und trottete weiter, eng an der Häuserwand entlang. Er musste jetzt unbedingt etwas zu essen finden – und wenn es eine Maus war! In Emmas Wohnung hatte es nur selten Mäuse gegeben – und Edgar hatte auch erst eine einzige in seinem Leben gefangen. Die hatte nicht einmal besonders gut geschmeckt – er hatte die Hälfte davon wieder hervorwürgen müssen. Das Futter, das er von Emma bekommen hatte, war entschieden besser gewesen.
    Aber Emma würde sich nun nie mehr um ihn kümmern. Er musste lernen, für sich selbst zu sorgen.

 
     
     
     
     
     
    E dgar bog in eine schmale Gasse ein, die kaum einen Meter breit war. Finsternis und übler Gestank empfingen ihn, denn man hatte dort Unrat abgeladen. Der kleine Kater, der bisher nur Emmas saubere
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