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Edgar und die Schattenkatzen (German Edition)

Edgar und die Schattenkatzen (German Edition)

Titel: Edgar und die Schattenkatzen (German Edition)
Autoren: Marliese Arold
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selbstbewusst auf einen Stapel Bücher gesprungen war, um von dort aus einen besseren Überblick zu haben. Eine Staubwolke stieg in die Höhe, und er bekam einen Niesanfall.
    »Du lernst es nie«, ertönte eine leicht näselnde Stimme von oben, und Edgar sah, wie sich ein heller Fleck aus einem Regal löste. Wenig später stand eine wunderschöne Katze vor ihnen. So ein bezauberndes Geschöpf hatte Edgar noch nie gesehen. Das Fell hatte die Farbe von frisch geschlagener Sahne. Das Gesicht dagegen war dunkel, ebenso wie die Ohren und der Schwanz. Am faszinierendsten waren die Augen. Sie leuchteten in einem hellen Blau. Edgar starrte die Katze an und wusste nicht, was er sagen sollte.
    »Du hast jemanden mitgebracht, Al?«, fragte sie. »Würdest du so freundlich sein und mir deinen Begleiter vorstellen?« Sie bewegte nervös ihren Schwanz, er ringelte sich nach rechts und nach links, und Edgar hatte das Gefühl, dass ihr Besucher nicht sonderlich willkommen waren.
    »Oh ja, natürlich. Entschuldige, Leyla.« Algernon sprang neben ihr auf den Boden. »Also – das ist Edgar. Ich habe ihn auf der Straße aufgelesen, weil er mir leidgetan hat. Er hat praktisch sein ganzes Leben in Gefangenschaft verbracht, und ohne mich wäre er aufgeschmissen. Er weiß ja nicht einmal, wie man eine Maus fängt, haha.«
    »Das stimmt nicht«, protestierte Edgar. »Eine Maus habe ich schon einmal erwischt. Sogar zwei, um genau zu sein, aber …« Er verstummte, denn Leyla trat einen Schritt auf ihn zu. Ihre blauen Augen fixierten ihn.
    »So, du heißt also Edgar?«, fragte sie, und ihre Stimme klang wie Musik. »Nach Edgar Allan Poe vielleicht?«
    Diesen Namen hörte Edgar zum allerersten Mal. »Wer ist das?«, wollte er wissen.
    »Also bist du nicht nach ihm benannt. Schade.« Leyla setzte sich auf die Hinterpfoten. »Edgar Allen Poe ist ein berühmter amerikanischer Schriftsteller. Von Amerika hast du aber schon gehört, oder?«
    »Nein«, gab Edgar zerknirscht zu und kam sich dumm und unerfahren vor.
    »Das ist ein Land, jenseits des großen Ozeans, und man braucht viele, viele Tage mit dem Schiff, um es zu erreichen«, erklärte Leyla. »Schiffskatze zu sein, ist aber nicht jedermanns Sache. Wenn Sturm aufkommt, dann schwankt das Schiff hin und her, und du denkst, dein letztes Stündlein hat geschlagen. Ich spreche da aus Erfahrung. Ich stamme aus Siam, das ist ein großes Reich auf der Halbinsel Hinterindien. Es liegt fast auf der anderen Seite der Welt. Ich wurde dort geboren und war noch sehr jung, als ich auf ein Schiff verfrachtet wurde, das mich nach England bringen sollte. Obwohl es schon lange her ist, erinnere ich mich an alle Einzelheiten. Es gab einen furchtbaren Sturm, der das Hauptsegel zerfetzte. Die Wellen waren hoch wie Häuser, und fast wäre das Schiff mit Mann und Maus gesunken. Auf dem Schiff ging alles drunter und drüber, und ich wäre mit Sicherheit über Bord gespült worden, wenn ich mich nicht an einem Tau festgehalten hätte. Oh ja, ich hatte Glück … Ich überlebte diesen furchtbaren Sturm, aber seither vermeide ich es, einen Fuß auf ein Schiff zu setzen … Auch wenn ich auf diese Weise niemals nach Amerika kommen werde. Außer, ich nehme ein Luftschiff. Damit soll man bequem reisen können, heißt es …«
    Edgar schwirrte der Kopf. Er staunte über Leylas Wissen.
    »Leyla kann lesen«, klärte Algernon ihn auf. »Und sie verbringt viel Zeit mit Büchern, hier gibt es ja genug davon. – Leyla, Liebes, ich habe dir ein Hühnerbein mitgebracht. Ich hoffe, du freust dich, ich habe es extra für dich aufgehoben.«
    Leyla schnupperte einmal kurz an dem Hühnerbein. Sonderlich interessiert schien sie nicht zu sein. »Ich danke dir, Al, aber ich esse später«, erklärte sie hoheitsvoll.
    Man hörte, wie im Nebenzimmer ein Stuhl gerückt wurde.
    »Schnell, versteckt euch!«, zischte Leyla ihren beiden Besuchern zu. »Mein Herr ist bestimmt nicht begeistert, wenn er euch hier sieht. Er kann fremde Katzen nicht ausstehen!«
    »Komm mit, Edgar!«, flüsterte Algernon, machte sich ganz flach und kroch unter ein Regal. Dort war gerade genug Platz für die beiden Kater.
    Edgar wagte kaum zu atmen. Vorsichtig spähte er unter dem Regal hervor. Er sah ein Paar abgeschabte schwarze Lederschuhe, in denen Füße in grauen Socken steckten. Der Besitzer trug karierte Hosen. Leyla strich ihm um die Beine und maunzte, worauf sich ihr Herr bückte. Edgar beobachtete, wie zwei faltige Hände die Siamkatze packten und
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