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Eden

Eden

Titel: Eden
Autoren: Stanislaw Lem
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einen Stein gegen einen der mehrere Meter über der Erde hängenden »Insektenleiber«, und als nichts geschah, untersuchte er einen Stängel, schnitt sogar mit dem Messer hinein. Ein hellgelber, wässriger Saft sickerte in kleinen Tropfen heraus, begann sofort zu schäumen und färbte sich orange und rostrot, bis er nach einiger Zeit zu einem harzähnlichen Gerinnsel mit starkem Aroma erstarrte, das anfangs allen gefiel, sie dann aber abstieß. In dieser eigenartigen Schonung war es etwas kühler als auf der Ebene. Die knolligen »Leiber« der Pflanzen warfen etwas Schatten. Er wurde immer dichter, je weiter sie in das Gebüsch vordrangen. Sie bemühten sich, die Stängel nicht zu berühren, vor allem nicht die weißlichen Triebe, in denen die jüngsten Schösslinge endeten; sie erregten nämlich bei ihnen einen unerklärlichen Ekel. Der Boden war schwammig und weich und sonderte feuchte Dünste aus, in denen das Atmen schwerfiel. Über ihre Gesichter und Arme glitten die Schatten der »Insektenleiber«, einmal höher, einmal tiefer, große und kleine. Diese »Leiber« waren entweder schlank und hatten grell orangerote Stacheln, oder sie waren welk, vertrocknet, abgestorben. Lange zarte Spinnweben hingen von ihnen herab. Wenn ein Windstoß kam, ging von dem Gestrüpp ein unangenehmes dumpfes Rauschen aus, nicht das sanfte Rauschen eines irdischen Waldes, sondern mehr ein Rascheln von Tausenden und aber Tausenden rauher Papierfetzen. Mitunter versperrten ihnen einzelne Pflanzen mit ihren verflochtenen Trieben den Weg, und sie mussten erst einen Durchgang suchen. Nach einer Weile gaben sie es auf, nach oben zu den stachligen »Leibern« zu blicken und in ihnen Ähnlichkeiten mit Nestern, Tannenzapfen oder Kokons zu suchen.
    Auf einmal bemerkte der Doktor, der an der Spitze ging, vor seinem Gesicht ein dickes, schwarzes, senkrecht herabhängendes Haar, gleichsam einen starken, glänzenden Faden oder lackierten, dünnen Draht. Schon wollte er ihn mit der Hand beiseite schieben. Da sie aber bisher noch nichts Ähnliches gefunden hatten, hob er instinktiv den Blick und blieb wie angewurzelt stehen. Etwas Blaßperlgraues, das knollig über den zusammengewachsenen Stengeln am Ansatz eines der »Kokons« hing, starrte ihn an. Er fühlte den Blick, bevor er entdeckte, wo sich die Augen dieses mißgestalteten Geschöpfes befanden. Er konnte weder Kopf noch Beine erkennen, er sah nur eine sackartig aufgeblähte, von innen gleichsam mit blasigen Kröpfen ausgestopfte Haut, die schwach glänzte. Aus einem dunklen, länglichen Trichter ragte das dicke schwarze Haar hervor, das wohl zwei Meter lang war. »Was ist da?« fragte der Ingenieur, der gerade an ihn herantrat. Der Doktor antwortete nicht. Der Ingenieur blickte hinauf und stutzte ebenfalls. »Womit mag das wohl sehen?« fragte er unwillkürlich und wich einen Schritt zurück, angeekelt von diesem Wesen, das sich mit einem gierigen, äußerst konzentrierten Blick in ihn hineinzusaugen schien, obwohl er weder sehen noch erraten konnte, wo es seine Augen hatte. »Einfach widerlich!« rief der Chemiker aus. Sie standen jetzt alle hinter dem Ingenieur und dem Doktor, der ebenfalls einen Schritt von dem herabhängenden Gebilde zurücktrat. Die anderen machten ihm Platz, soweit es die elastischen Stängel zuließen. Er holte aus der Tasche seiner Kombination den brünierten Zylinder hervor, zielte gelassen auf den blasigen Körper, der heller als seine pflanzliche Umgebung war, und drückte ab. Im Bruchteil einer Sekunde geschah sehr viel auf einmal. Zuerst überraschte sie ein Aufblitzen. Es war so heftig, dass es sie blendete, den Doktor ausgenommen, der in diesem Augenblick gerade geblinzelt hatte, und das Blitzen währte nur so lange, wie er die Lider geschlossen hielt. Der dünne Strahl flog noch, da bogen sich die Stängel bereits, raschelten, ein Ballen schwarzen Dampfes umgab sie, das Wesen stürzte und klatschte schwammig und schwer auf den Boden. Etwa eine Sekunde lang lag es reglos da, wie ein grauer Ballon voller Klümpchen, aus dem die Luft entweicht. Nur das schwarze Haar wand sich und tanzte wie rasend über ihm, peitschte mit blitzartigem Zucken die Luft. Dann verschwand das Haar, und über das schwammige Moos begannen die unförmigen, bläschenartigen Glieder dieses Geschöpfes mit Schneckenbewegungen nach allen Seiten zu kriechen. Bevor sich einer der Männer regen konnte, war die Flucht oder vielmehr das Auseinanderlaufen beendet. Die letzten Teilchen des
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