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Eden Inc.

Eden Inc.

Titel: Eden Inc.
Autoren: Lincoln Child
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»Jetzt ist er vollkommen«, hatte er erwidert. Maureen wusste noch, dass Lewis’ Augen beim Erzählen der Geschichte erheitert gefunkelt hatten.
    Sie eilte weiter. Das Weinen wurde lauter.
    Vor ihr ragte die Küchentür der Thorpes auf. Maureen trat näher heran, setzte sorgfältig ein strahlendes Lächeln auf und öffnete die Fliegentür. Dann klopfte sie an, doch schon bei der ersten Berührung öffnete sich die Tür von allein.
    Maureen trat einen Schritt vor.
    »Hallo?«, rief sie. »Lindsay? Lewis?«
    Im Inneren des Hauses erzeugte das Wimmern fast körperliche Schmerzen. Maureen hatte nicht gewusst, dass Kleinkinder so laut schreien konnten. Wo die Eltern sich auch aufhielten, das Weinen des Säuglings war so laut, dass sie ihre Besucherin nicht hörten. Wieso ignorierten sie das Kind eigentlich? Standen sie vielleicht unter der Dusche? Oder trieben sie irgendwelche abartigen Sexspielchen? Maureen fühlte sich urplötzlich gehemmt und schaute sich um. Die Küche war wunderschön: Geräte wie in einem Restaurant und glänzend schwarze Anrichten. Aber sie war leer.
    Die Küche führte direkt in eine vom Morgenlicht vergoldete Frühstücksecke. Und dort war auch das Kind: Genau vor ihr, im Bogengang zwischen der Frühstücksecke und einem anderen Raum, der, soweit Maureen erkannte, wie ein Wohnzimmer aussah. Das Gesichtchen der Kleinen war vom Weinen verquollen, ihre Wangen von Rotz und Tränen befleckt.
    Maureen stürzte auf das Kind zu. »Ach, du Armes.« Während sie den Keksteller ungelenk im Gleichgewicht hielt, suchte sie nach einem Taschentuch und wischte der Kleinen das Gesicht ab. »Na, komm ...«
    Doch das Weinen hörte nicht auf. Die Kleine schlug mit den
    Fäustchen um sich und stierte starr und untröstlich vor sich hin.
    Maureen brauchte einige Zeit, um das gerötete Gesicht zu säubern, und als sie fertig war, klingelten ihr die Ohren von dem Geschrei. Erst als sie das Taschentuch wieder in die Tasche ihrer Jeans steckte, kam ihr die Idee, einen Blick in die Richtung zu werfen, in die das Kind schaute. Ins Wohnzimmer.
    Als sie es tat, wurden das Weinen der Kleinen und das Klirren des Porzellans, als sie die Kekse fallen ließ, sofort von ihrem eigenen Schrei übertönt.

 
2
    Christopher Lash stieg aus dem Taxi und hinein ins Getöse der Madison Avenue. Er war zuletzt vor einem halben Jahr in New York gewesen. Allem Anschein nach hatten diese Monate ihn verweichlicht. Der ätzende Dieselgestank, den die dicht aufeinander folgenden Busse ausstießen, hatte ihm nicht gefehlt, und den unangenehm angebrannten Geruch der an den Straßenecken stehenden Brezelstände hatte er vergessen. Die in ihre Handys hineinbrüllenden Fußgängermassen, die blökenden Hupen, das wütende Wechselspiel der Pkws und Laster - all das erinnerte ihn an die hektische, sinnlose Tätigkeit eines Ameisenvolkes, das unter einem Stein hervorkrabbelt.
    Er nahm den Griff der Lederaktentasche fest in die Hand, trat auf den Bürgersteig und fädelte sich in die Menge ein.
    Er hatte auch lange keine Aktentasche mehr getragen. Sie fühlte sich fremd und unbequem an.
    Lash überquerte die 57th Street, ließ sich vom Strom der Menschen forttragen und ging in Richtung Süden. Einen Häuserblock weiter dünnte sich der Fußgängerverkehr ein wenig aus. Er überquerte die 56th und huschte in einen leeren Hauseingang, um einen Moment innezuhalten, ohne herumgeschubst zu werden. Er stellte die Tasche vorsichtig zwischen den Beinen ab und warf einen Blick nach oben.
    Ihm gegenüber ragte ein rechteckiger Turm in den Himmel.
    Er wies weder eine Nummer noch einen Firmennamen auf, der verriet, was sein Inneres barg. Beides war aber auch unnötig, denn der Turm war mit einem Emblem versehen, das dank zahlloser detaillierter Nachrichtensendungen vor kurzem ebenso ein amerikanisches Symbol geworden war wie die goldenen Triumphbögen: das schnittige Unendlichkeitssymbol schwebte genau über dem Eingang des Gebäudes. Die massige Flanke der unteren Turmhälfte reichte bis zu einer zurückgesetzten Fassade. Darüber verlief um das Gebäude ein dekoratives Gittergeflecht, das die obersten Stockwerke absetzte. Doch die Schlichtheit täuschte. Die Turmoberfläche wirkte prächtig und verlieh dem Gebäude irgendwie Tiefe. Sie wirkte fast wie die Lackierung eines sehr teuren Autos. Neue Architekturlehrbücher sprachen von Obsidian - Lavaglas -, doch dies stimmte nicht ganz: Der Turm ließ ein warmes, klares Leuchten sehen, das fast so wirkte, als würde
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