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Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Titel: Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)
Autoren: Karin Fossum
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arbeitete sie, oder sie schlief. Und im Keller hatten sie ein kleines Zimmer. Wo sie bleiben konnten, wenn sie kein Geld hatten. Es war einfach angenehm, immer dieselbe Gesellschaft zu haben. Zipp war berechenbar, und das gefiel Andreas. Außerdem, und das war wirklich sehr wichtig, fühlte er sich sicher bei Zipp.
    Viel hatten sie einander nicht zu geben. Trotzdem steckten sie immer zusammen, denn alles war besser als Einsamkeit. Wollte Zipp jemanden drittes oder viertes dazuholen, konnte Andreas ihm das immer ausreden. Er behauptete, dann werde alles viel komplizierter und im Auto sei kein Platz für Frauen, und das war ja auch ein gutes Argument. Es konnte zu kleinen Meinungsverschiedenheiten kommen, aus denen sich jedoch nie ein Streit entwickelte. In der Regel waren sie einer Meinung; in der Regel konnte Andreas den Konflikt zu seinem Vorteil wenden, und das so geschickt, daß Zipp ihm nicht auf die Schliche kam. Sie hatten einige Grenzen überschritten. Kleinigkeiten. Einmal hatten sie aus einem Kiosk ein paar Stangen Zigaretten und ein wenig Geld mitgehen lassen. Ein andermal hatten sie ein Auto geknackt. Die Batterie von Zipps Golf hatte ihren Geist aufgegeben, und die Vorstellung, wie Schuljungen zu Fuß gehen zu müssen, hatte ihnen gar nicht gefallen. Aber sie waren nicht weit gefahren. Im Grunde waren sie ziemlich feige. Sie waren nicht gewalttätig und hatten nie Waffen besessen, abgesehen von einem Messer, das Andreas zur Konfirmation bekommen hatte. Ab und zu hing es an seinem Gürtel, unter dem Hemd versteckt. Zipp mochte das Messer nicht sehen. Es kam vor, daß sie zuviel tranken. Das Messer hing wie ein Pendel an der schmalen Hüfte und war so jederzeit zugänglich. Nicht, daß Andreas jemanden provozierte oder sich selbst provozieren ließ. Sein Aussehen hatte auf andere die entgegengesetzte Wirkung; sie entspannten sich, blieben ruhig sitzen und schauten in seine hellen Augen. Aber wenn er trank, veränderte er sich. Unruhe stieg in ihm auf, und er, der sonst träge war, entwickelte eine geradezu fieberhafte Nervosität. Seine dünnen Finger konnten nicht stillhalten, sondern jagten umher und spielten an allem herum. Zipp staunte immer wieder darüber. Er selbst wurde schwerfällig und am Ende schläfrig, wenn er zuviel trank. Genaugenommen war Andreas seltsam. Er schien nie wirklich dazusein. Er rülpste nicht, wenn er betrunken war. Er hustete nicht, er bekam keinen Schluckauf. Um ihn her war es still. Er hatte nicht einmal einen besonderen Geruch. Zipp selbst benutzte ein Rasierwasser von Hugo Boss, wenn er es sich leisten konnte, oder er klaute bei Cash & Carry eine Flasche, wenn er sich obenauf fühlte. Andreas benutzte gar nichts. Er sah immer gleich aus, seine Haare waren nie fettig, er war immer sauber, wenn auch nicht zu sauber, er war immer derselbe. Wenn Zipp ihn an einem Sonntagvormittag weckte und er im Bademantel in der Tür stand, sah er nicht müde aus. Seine Augen waren immer offen. Seine Haare waren immer gleich lang. Seine Schuhe waren nie abgetragen. Es war seltsam.
    Jetzt wartete Andreas auf seinen Lohn. Zusammen verfügten sie über die schwindelerregende Summe von sechzig Kronen. Das reichte nicht einmal für zwei Bier.
    »Woran denkst du?« fragte Andreas.
    Zipp schnitt eine Grimasse. »An Anita.«
    »Himmel, gibt’s da was zu denken?«
    »Wie meinst du das?« Zipp ärgerte sich. »Die Frau ist doch tot.«
    »Da sagst du was Wahres.«
    Zipp mußte aus dem Fenster blicken, um seine Empfindungen zu verbergen.
    »Wie viele Kugeln hat wohl so eine Schrotladung?« fragte er tonlos.
    »Kommt sicher drauf an. Wieso?«
    »Ich denke an ihr Gesicht. Wie das danach ausgesehen hat. Sie war doch eine tolle Frau.«
    Andreas zuckte mit den Schultern. »Wenn du nahe genug dran bist, kommt die Ladung wie eine einzige Riesenkugel. Ich hab kurz mit Roger gesprochen. Er sagt, ihr Nasenbein ragte raus und der ganze Kiefer war offen. Und ein Auge war verschwunden.« Er zog an seiner Zigarette. »Und Anders«, fügte er hinzu. »Der stand ja hinter Anita, als der Schuß losging. Sein Oberdeck war total zerlöchert.«
    Zipp schwieg und stellte sich das alles vor. Die Einzelheiten wollten kein Ende nehmen. Sein Gehirn war gespickt mit Bildern aus Filmen, die erst ab achtzehn freigegeben waren, in Breitwand und mit digitalen Klangeffekten.
    »O Scheiße.«
    Andreas verdrehte die Augen. »Wieso stellst du dich so an? Sie war doch nicht deine Schwester. That’s life, Zipp. All will be lost like
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