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Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Titel: Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)
Autoren: Karin Fossum
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Fensterscheibe. Und ich kann mich an das Gefühl erinnern, an einen süßen Druck, als flösse heißes Öl durch meinen Körper. An die Gewißheit, daß es böse war. Mein Gesicht im bläulichen Glas. Der häßliche, böse Mensch, zu dem wir werden, wenn der Teufel die Kerze hält.

1. SEPTEMBER
     
    Ein Junge ging allein durch die Straßen. Er trug Jeans und eine schwarze Jacke mit olivgrünem Brustteil und einem rotweißen Nike-Swosh auf dem Rücken. Er wurde um sechs zu Hause erwartet. Und vielleicht wäre er rechtzeitig dort. Über der Stadt hing das trübe Licht eines dunstigen Himmels. Wind kam auf. Septemberwind, möglicherweise ein wenig wehmütig, aber so dachte er nicht. Bisher hatte das Leben ihn gut behandelt.
    Der Junge war etwa sieben, er war schlank und hübsch. Er hatte beide Hände in den Hosentaschen. In der einen steckte eine Tüte Gummibärchen. Seit einer Viertelstunde war er unterwegs, und in seiner Jacke kochte es bereits.
    Er fuhr sich mit einer Hand über die Stirn. Seine Haut hatte die Farbe von Kaffee. Er hatte schwarze Kräuselhaare, und seine Augen funkelten in dem dunklen Gesicht.
    Dann passierte etwas. Hinter ihm glitt ein Auto heran. Zwei Männer saßen darin und schauten suchend aus dem Fenster. Sie teilten die Auffassung, daß das Leben im Moment tödlich langweilig sei. Diese Stadt hatte einfach keine Überraschungen zu bieten. Da lag sie, von einem grauen Fluß in zwei Teile gerissen, und war in all ihrer Mittelmäßigkeit mit sich zufrieden. Sie saßen in einem grünen Golf. Sein Besitzer trug den Spitznamen Zipp, nach dem Geräusch, das entsteht, wenn jemand bei richtig engen Jeans den Reißverschluß öffnet, genauer gesagt, wenn dieser Reißverschluß mit zitternden Fingern und glühenden Wangen geöffnet wird. Eigentlich hieß er Sivert Skorpe. Zipp hatte blonde, struppige Haare, und auf seinem jungen Gesicht lag ein Ausdruck konstanter Neugier. Ein Ausdruck, der nahe ans Blödsinnige heranreichte, aber in der Regel konnte er bei den Frauen landen. Sein Aussehen reichte allemal, außerdem war er lebhaft, verspielt und schlicht. Nicht ganz ohne Tiefe. Allerdings untersuchte er seine Gedanken nicht weiter und lebte deshalb in Unkenntnis dessen, was sich in seinem Inneren verbarg. Sein Kumpel sah aus wie ein Faun oder eine andere Märchengestalt. Er war keine Konkurrenz. Über die Jagd fühlte er sich wohl erhaben. Die Mädchen hatten zu ihm zu kommen oder so. Zipp hatte das noch nie verstanden. Er fuhr langsam. Stumm hegten sie beide dieselbe Hoffnung: daß etwas passierte.
    »Bremsen!« sagte der eine.
    »Scheiße. Wieso denn?« Zipp grunzte und griff zum Schalthebel. Er wollte keinen Ärger.
    »Will nur ein bißchen quatschen.«
    »Scheiß drauf, Andreas. Das ist doch noch ein Kind.«
    »Ein kleines Negerlein. Ich langweile mich.« Langsam kurbelte er das Fenster herunter.
    »Bei dem Rotzbengel ist keine Kohle zu holen. Und wir brauchen Kohle. Ich hab einen Scheißdurst.«
    Langsam glitt der Wagen neben den Jungen. Der warf einen Blick auf die beiden Männer und wandte sich ab. Anderen Leuten und Hunden darf man nicht in die Augen starren. Er konzentrierte sich auf seine Schuhe und behielt sein Tempo bei.
    »Hallo, Alter.«
    Aus dem Autofenster starrte ihn ein Mann mit rotbraunen Locken an. Sollte er antworten? Der Mann war ja erwachsen, zumindest fast.
    »Hallo«, sagte er leise und möglichst gleichgültig, um anzuzeigen, daß er keine Zeit hatte. Sie wollten ihn sicher nur nach dem Weg fragen. Er ging weiter, und der Wagen folgte ihm.
    »Du hast ja eine saugute Jacke.« Der Mann nickte bewundernd. »Echt Nike, Mann. Dein Vater schwimmt wohl in Geld, was?«
    »Die hab ich von meinem Opa«, murmelte der Junge.
    »Wenn du ein paar Nummern größer wärst, würde ich sie dir abnehmen«, lachte der andere. »Aber die ist mir sicher zu eng.«
    Statt zu antworten, versenkte der Junge sich in den Anblick seiner Schuhspitzen.
    »War ein Witz«, sagte der Mann. »Wir wollten dich nach dem Weg fragen. Zur Bowlinghalle.«
    Der Junge blickte auf. »Die ist gleich dahinten. Man sieht von hier aus schon das Schild«, sagte er.
    »Ja. Wie gesagt, war bloß ein Witz.« Der Mann lachte leise und steckte den Kopf ganz zum Fenster heraus. »Sollen wir dich nach Hause fahren?«
    Der Junge schüttelte heftig den Kopf. Und dann fiel sein Blick auf einen Torweg.
    »Ich wohn da vorn«, log er.
    »Ach was?« Der Mann lachte heftig. »Wie heißt du?«
    Der Junge gab keine Antwort. Er hatte seinen
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