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Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz

Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz

Titel: Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz
Autoren: Marco Vichi
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Botta ignorierte ihn völlig. Er wickelte den Kaiserling in ein Taschentuch, das er einsteckte. Danach suchte er die Umgebung ab und fand noch sechs weitere Exemplare. Er wirkte hochzufrieden.
    »Für heute reicht das, man darf nicht gierig werden«, sagte er. Casini sah auf die Uhr, es war noch nicht einmal neun.
    »Hier oben lässt es sich aushalten, es ist wirklich wunderbar.« Er seufzte und schaute sich um. Unmittelbar danach stolperte er über einen großen Stein und saß plötzlich auf dem Hosenboden. Mit schmerzverzerrtem Gesicht stand er wieder auf und versuchte Bottas Gelächter zu überhören. Seine Hose war schlammverschmiert, und seine Ohren klingelten von der Erschütterung.
    »Verdammt …«, sagte er und klopfte sich die nassen Blätter von der Hose.
    »Sie dürfen nie laut sagen, dass Sie sich wohlfühlen, Commissario. Der Teufel kann zwar keine Gedanken lesen, aber Worte versteht er sehr gut.«
    »Haben dir das die Nonnen beigebracht?«
    » Sa va san dir, Commissario«, meinte Botta, der im Gefängnis von Marseille ein paar Brocken Französisch aufgeschnappt hatte.
    Gemeinsam wanderten sie weiter zwischen Kastanien und Eichen hindurch, begleitet von seltsamen Vogellauten und dem Rauschen des Windes, der immer wieder in Böen durch die Äste fuhr. Sie sahen noch mehr Tiere, die vor ihnen ins Gebüsch flüchteten, hin und wieder kamen sie an einem alten Kohlenmeiler vorbei, um den die Erde schwarz und verbrannt war. Casini schwirrten in wildem Durcheinander alte Erinnerungen durch den Kopf. An seine Kindheit, an den Krieg, an ehemalige Freundinnen, deren Gesichter er inzwischen vergessen hatte. Aber hinter jedem dieser Gedanken kam immer wieder das Rätsel um den vermissten Jungen zum Vorschein. Casini begann langsam zu glauben, dass dieser von Marsmenschen entführt worden war …
    Casini brachte Botta zu seiner Souterrainwohnung in der Via del Campuccio zurück und fuhr dann zu Hause vorbei, um die Kleidung zu wechseln. Inzwischen war es halb elf. Nach einer langen, heißen Dusche zog er sich in aller Ruhe an. Er hatte zwar noch die dunklen Baumstämme vor Augen, den leichten Nebelschleier, die Wildschweine … aber mit den Gedanken war er längst woanders. Zum wiederholten Mal ging er im Geist die Protokolle im Vermisstenfall Giacomo Pellissari durch in der absurden Hoffnung, endlich auf das Detail zu stoßen, das ihn auf irgendeine Spur führen würde.
    Der Junge war am Mittwochmittag verschwunden, als er während eines wolkenbruchartigen Regens das Collegio alle Querce verlassen hatte. Um acht Uhr fünfundzwanzig hatte ihn sein Vater wie immer zur Schule gebracht. Nach dem Unterricht holte ihn regelmäßig ein Elternteil ab. Um Viertel nach zwölf war Giacomos Mutter in die Garage gegangen, doch ihr Fiat 600 sprang nicht an. Daraufhin hatte sie ihren Mann im Büro angerufen, und der hatte sich sofort ins Auto gesetzt, um zum Collegio zu fahren. Weil sich aufgrund des heftigen Regens ein Unfall auf den Alleen ereignet hatte, war er erst mit einer Stunde Verspätung eingetroffen. Unter dem Schutz seines Schirms war er zur Schule geeilt, in der festen Überzeugung, seinen Sohn anzutreffen, doch Giacomo war nicht mehr dort. Der Hausmeister hatte resigniert die Arme ausgebreitet: Der Junge hatte bis nach eins gewartet, sogar zu Hause angerufen, aber da war besetzt gewesen … Schließlich war er in den Regen hinausgerannt und hatte sich nicht aufhalten lassen.
    Casini zündete sich eine Zigarette an und rekonstruierte die Ereignisse noch einmal bis in jede Einzelheit. Mittlerweile kam es ihm vor, als sehe er einen Film. Er kannte die Gegend rund um das Collegio alla Querce bis zum Haus der Pellissaris in der Via di Barbacane sehr genau. In diesem Viertel war er zur Welt gekommen und aufgewachsen.
    Rechtsanwalt Pellissari hatte den Hausmeister gefragt, ob er seine Frau anrufen dürfe, aber noch immer war dort besetzt gewesen. Dann hatte er sich wieder ins Auto gesetzt und war den Weg nach Hause gefahren: Via della Piazzuola, Viale Volta, Via di Barbacane. Als er zu Hause ankam, war Giacomo immer noch nicht da. Seine Frau machte sich zwar Sorgen, aber sie war nicht allzu beunruhigt. Vielleicht hatte sich Giacomo ja irgendwo untergestellt, um sich vor dem Regen zu schützen …
    Der Rechtsanwalt war zum Telefon im Flur gegangen und hatte festgestellt, dass der Hörer nicht richtig auflag. Er hatte mit seiner Frau geschimpft, die sich doch langsam Sorgen machte. Pellissari war wieder in seinen Alfa
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