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Dunkle Tage

Dunkle Tage

Titel: Dunkle Tage
Autoren: Gunnar Kunz
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grimmigen Hagen, so stürzte unsere ermattete Front.“
    „Hindenburg.“
    „Genau.“ Wahllos blätterte der Professor in den losen Seiten. „Manche Texte sind mir unbekannt.“
    „Kannst du die Quellen herausfinden?“
    Hendrik verzog das Gesicht. Er verspürte nicht die geringste Lust, sich zu engagieren, schon gar nicht für Polizeiarbeit. In seinen Augen hatte der Beruf seines Bruders etwas Anrüchiges. Was schätzte Gregor bloß so am Wühlen im Dreck? Angesichts der Schönheit einer philosophischen Erkenntnis, der Befriedigung, die im Streben nach Weisheit lag – wie konnte da jemand in die Abgründe der menschlichen Seele hinabsteigen wollen, in die Lüge, die Niedertracht, die Verrohung? Wie konnte jemand freiwillig die Dunkelheit aufsuchen, wo es doch das Licht gab? Aber, nun ja, das Licht entpuppte sich in letzter Zeit immer öfter als Irrlicht, nicht wahr? Wer wüsste das besser als er selbst!
    „Ich stehe ziemlich unter Druck“, sagte Gregor. „Der Mord an einem der größten Industriellen des Landes wird hohe Wellen schlagen.“
    „Warum sind die Briefe so wichtig? Denkst du, der Mord war politisch motiviert?“
    „Ich hoffe nicht!“
    Hendrik verstand all das Unausgesprochene hinter den inbrünstig hervorgestoßenen Worten. Für politische Fälle war die Abteilung IA, die Politische Polizei, zuständig, mit der Gregor nichts zu tun haben wollte. Er hasste Gesinnungsschnüffelei. Nur widerwillig hatte er im vergangenen Jahr die Aufgabe übernommen, gemeinsam mit Kommissar Gennat die Kanäle nach der Leiche Rosa Luxemburgs abzusuchen.
    „Aber ich kann es leider nicht ausschließen.“ Gregor reichte seinem Bruder weitere Briefe und deutete auf verschiedene Stellen. „Du findest überall Andeutungen über Verbindungen zwischen Max Unger und nationalen Kreisen, die auf einen Putsch spekulieren. Hier, vom 25. Januar 1919: Vielen Dank für die Überweisung der verabredeten Summe. Wie Sie inzwischen wohl wissen, wurde Ihr Geld gut angelegt. Eine künftige national gesinnte Regierung wird Ihre Unterstützung nicht vergessen. Beachte die Unterschrift!“
    „Thor“ , las Hendrik. „Da ich nicht annehme, dass die nordischen Götter sich für umstürzlerische Umtriebe interessieren, handelt es sich wohl um einen Code, oder?“
    „Lies den Rest, dann hast du halb Walhall beisammen. Verschwörer lieben es, sich bedeutungsschwangere Namen zu geben.“
    „Verdächtigst du Thor, etwas mit dem Mord zu tun zu haben? Aber wer schlachtet die milchspendende Kuh?“
    „Sieh dir die Eintragungen in Max Ungers Terminkalender für gestern Abend an!“
    Hendrik begab sich zum Schreibtisch. Die Abendausgabe der Deutschen Tageszeitung lag dort und verlor sich in Spekulationen über Die Kandidatur Hindenburgs , und irgendein obskures Provinzblatt namens Völkischer Beobachter mit einer albernen Datumsangabe (13. Lenzing) jubelte gar vorauseilend: Hindenburg künftiger Reichspräsident . Neben den Zeitungen lag der Terminkalender. „Darf ich das anfassen?“
    „Simon hat sämtliche Fingerabdrücke gesichert.“
    Tatsächlich waren die Reste eines silbrigen Pulvers auf dem Papier zurückgeblieben und machten die charakteristischen Linien und Schlingen von Fingerspuren sichtbar. Hendrik nahm den Kalender vorsichtig in die Hände. Max Unger schien einen ausgefüllten Tag gehabt zu haben. Dann sah Hendrik, worauf sein Bruder hinauswollte. Der letzte Eintrag am 9. März lautete: 8:30 Thor . „Du glaubst, er hatte eine Verabredung mit seinem Mörder?“
    „Vorerst glaube ich gar nichts. Es ist eine Möglichkeit, mehr nicht. Sicher nicht die unwahrscheinlichste. Ich muss unbedingt herausfinden, wer Thor ist.“
    Hendrik hörte seinem Bruder nicht mehr zu. Methodisch verglich er den Kalender mit der Schreibfläche des Schreibtisches.
    „Was machst du da?“
    „Habt ihr – du oder Simon – den Tisch abgewischt?“
    „Natürlich nicht! Wie kommst du darauf?“
    „Dann verstehe ich nicht …“
    „Was?“
    Hendrik machte seinem Bruder Platz.
    Gregor beugte sich stirnrunzelnd über die Tischplatte. „Wovon sprichst du?“
    „Die Blutspritzer!“
    „Was soll damit sein? Der ganze Raum ist voll davon, und natürlich auch – He! Jetzt sehe ich, was du meinst!“
    An der Stelle, wo der Terminkalender gelegen hatte, endeten die Blutspritzer wie mit dem Rasiermesser abgeschnitten, und doch setzten sie sich nicht auf dem Kalenderblatt fort. Ob vielleicht …? Versuchsweise blätterte Hendrik weiter. Richtig, auf der
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