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Dunkle Gewaesser

Dunkle Gewaesser

Titel: Dunkle Gewaesser
Autoren: Joe R. Lansdale
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hören konnte, sagte er: »Er ist betrunken. Ich musste ihn aus dem Bett holen, und erst wollte er nicht kommen. Er hat gesagt, es wäre auch kein Unglück gewesen, wenn wir sie wieder ins Wasser geworfen hätten.«
    »Und so jemand steht hier für das Gesetz«, erwiderte ich. »Jetzt fehlt nur noch der Pfarrer und der Bürgermeister, dann haben wir den ganzen stinkenden Haufen beisammen.«
    Constable Sy schwankte den Hügel hinunter, wobei er mit einer Taschenlampe den Weg vor sich ausleuchtete, obwohl die Scheinwerfer des Wagens so hell waren, dass man einen Faden durch ein Nadelöhr hätte zwirbeln können. Er bewegte sich auf das Feuer zu, und sein Bauch hüpfte vor ihm auf und ab wie ein Hund, der ihn freudig begrüßte. Daddy stand auf, geriet ins Taumeln und fing sich im letzten Augenblick. Besoffene unter sich.
    »Wo ist sie?«, fragte Higgins und schob sich seinen Fedora in den Nacken. In dem Moment konnte ich sein ausdrucksloses Gesicht und seine Augenklappe sehen. Im Gegenlicht wirkte das Auge wie ein schwarzer Tunnel. Gerüchten zufolge hatte es ihm eine Schwarze ausgekratzt, während er sie vergewaltigte. Das Holster, in dem seine Pistole steckte, war ihm angeblich von einemIndianerjäger aus seiner Verwandtschaft vererbt worden und aus Indianerhaut gefertigt. Wahrscheinlich hatte sich das nur jemand ausgedacht.
    Constable Sy hatte sich nicht mal die Mühe gemacht, sich nach May Lynn umzuschauen. Schließlich war sie nicht mitten im Wald unter einer Plane versteckt. Ein einziges gesundes Auge genügte, um sie zu sehen. Sogar ein Blinder hätte sie sofort bemerkt.
    Daddy führte ihn zum Fluss, während ich und Terry zuschauten. Constable Sy richtete die Taschenlampe auf die Leiche und die Nähmaschine. »Die hat sich das letzte Mal hingehockt, um zu pinkeln«, sagte er. »Aber die Nähmaschine ist vielleicht noch zu retten.«
    Daddy und Constable Sy kicherten gemeinsam.
    »Sie war ein anständiger Mensch«, sagte ich. »Jemand hat sie umgebracht. Sie ist hier das Opfer. Und daran ist überhaupt nichts komisch.«
    Der Constable leuchtete mir direkt ins Gesicht. »Mädchen, du weißt doch, dass Kinder den Mund halten sollen, wenn sie nicht gefragt werden.«
    »Das sag ich ihr auch immer«, murmelte Daddy.
    »Ich bin kein Kind mehr«, erwiderte ich, senkte den Kopf und kniff die Augen zusammen. »Ich bin sechzehn.«
    »Soso«, sagte der Constable und ließ das Licht von oben nach unten über mich wandern. »Ich seh schon, dass du nicht mehr so jung bist, wie ich dich in Erinnerung hab.«
    Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll, aber das Licht fühlte sich an wie eine heiße, gelbe Zunge; mir wurde davon ganz übel.
    »Warum setzt du dich mit deiner Freundin nicht irgendwohin, wo ihr nicht im Weg seid?«, sagte Daddy.
    Darüber musste Constable Sy kichern, was Daddy sichtlich gefiel. Das erkannte ich daran, wie er sich aufrichtete und die Brust vorschob. Nichts machte ihm mehr Spaß, als jemand eins reinzuwürgen,außer vielleicht jemand eins überzuziehen, wenn der nicht damit rechnete.
    Terry seufzte, und wir gingen zum Feuer und setzten uns auf die Erde. Constable Sy stapfte zu seinem Wagen und nahm eine räudige Decke von der Ladefläche, und dann stießen er und Daddy die arme May Lynn mit den Stiefelspitzen darauf, wickelten sie ein und hievten sie auf die Pritsche. Als sie die Leiche fallen ließen, hörte sich das an, als hätte jemand einen großen, toten Fisch auf einen glatten, flachen Felsen geschleudert.
    »Das hättet ihr auch ohne mich hinbekommen«, sagte Constable Sy. »Ihr hättet sie mitnehmen können, und dann hätten wir sie uns morgen früh angeschaut.«
    »Mir ist lieber, dein Wagen stinkt, als meiner«, entgegnete Daddy.

2
    May Lynn hatte keine Mama mehr, weil ihre Mama sich im Sabine River ertränkt hatte. Sie war zum Fluss runtergegangen, um Wäsche einzuweichen, aber stattdessen hatte sie sich ein Hemd um den Kopf gewickelt und war reingelaufen, bis das Wasser über ihr zusammenschlug. Als sie wieder hochkam, war sie mausetot gewesen, aber das Hemd hing ihr noch immer vorm Gesicht.
    May Lynns Daddy kam nur dann nach Hause, wenn er es leid war, irgendwo anders zu sein. Wir wussten also nicht mal, ob er wusste, dass seine Tochter verschwunden war. May Lynn hat oft erzählt, dass ihr Vater nicht mehr derselbe war, nachdem ihre Mutter sich ertränkt hat. Ihrer Meinung nach lag das daran, dass sie sich dabei sein Lieblingshemd um den Kopf gewickelt hatte. Wahre Liebe, kann man da
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