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Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Titel: Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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hineingehen.« Er atmete tief ein, schluckte ein paarmal, um die bittere Galle loszuwerden, die sich schon wieder unter seiner Zunge zu sammeln begann, und angelte mit zitternden Fingern die Eintrittskarte aus seiner Hemdtasche.
    »Vielleicht tun Sie mir einen Gefallen und sagen meiner Freundin Bescheid«, sagte er. »Sie sitzt auf Platz …« Er sah auf das Billett und hatte im ersten Moment Schwierigkeiten, die winzigen Buchstaben und Zahlen zu entziffern. Seit dem letzten Mal, als er hiergewesen war, mußten sie die Schriftgröße geändert haben.
    Der Platzanweiser nahm ihm die Karte aus der Hand und warf einen flüchtigen Blick darauf, während seine Linke bereits in die Hosentasche glitt und eine Taschenlampe zutage förderte. »16 G«, sagte er.
    »So ungefähr«, murmelte Jan. »Rechts neben dem freien Platz. Sagen Sie ihr einfach, daß ich … hier im Bistro warte und nicht wieder hereinkomme. Sie soll sich keine Sorgen machen und den Film genießen.« Diesen Film? Lachhaft!
    Natürlich würde sie das nicht tun, sondern sofort herausgestürmtkommen, Panik verbreiten und verlangen, daß neben den Johannitern und dem Roten Kreuz auch noch die Feuerwehr, der Katastrophenschutz und eine Sondereinheit der GSG 9 gerufen wurde. Katrin gehörte zu den Menschen, die nur dann wirklich glücklich waren, wenn sie Katastrophenstimmung und eine Vorahnung des Weltuntergangs verbreiten konnten.
    Der Junge klemmte sich nun die Karte zwischen kleinen und Ringfinger der linken Hand – eine Haltung, die ziemlich komisch aussah, aber wohl irgendeinen Sinn haben mußte –, schaltete seine Taschenlampe ein und war vermutlich froh, daß der so sichtbar angeschlagene Gast vor ihm nicht darauf bestand, in die Vorstellung zurückzukehren und womöglich die Sitze vollzukotzen.
    »Ich sage Ihrer Verlobten Bescheid«, sagte er.
    Lebensabschnittsgefährtin , dachte Jan belustigt. Das war der Ausdruck, den Katrin benutzte. Normalerweise ärgerte er sich maßlos darüber. Das Wort hatte etwas Verächtliches, das er gar nicht richtig greifen konnte, das ihn aber rasend machte. Jetzt fand er es komisch. Er fand überhaupt plötzlich vieles komisch. Je miserabler er sich fühlte, desto mehr Distanz schien er zu allem zu bekommen.
    »Das … wäre nett«, murmelte er. Verdammt, er hatte schon Mühe, deutlich zu sprechen!
    »Setzen Sie sich irgendwo hin. Falls Sie ärztliche Hilfe brauchen, wenden Sie sich an einen meiner Kollegen …« Er setzte zum zweitenmal dazu an, die Hand nach der Türklinke auszustrecken, und zögerte erneut. »Sie schaffen es auch wirklich allein?«
    »Überhaupt kein Problem«, versicherte Jan. »Aber ich denke ich … gehe erst noch einmal dort hinauf.«
    Er drehte sich mühsam zur Treppe herum und ging los. Die Absperrung war ein Problem. Irgendwie meisterte er es, waraber heilfroh, daß sie nicht zwei Zentimeter höher war. Er drehte sich nicht herum, konnte aber hören, daß der Junge die Tür erst öffnete, nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß er auch wirklich aus eigener Kraft aufstehen konnte, und er sah aus den Augenwinkeln, daß auch die anderen Gestalten in Schwarz höchst konzentriert in seine Richtung blickten. Die Stille Post funktionierte hier offensichtlich ganz ausgezeichnet.
    Er schleppte sich zum zweitenmal innerhalb von fünf Minuten die Treppe hinauf, und diesmal spürte er selbst, wie deutlich er schwankte. Trotzdem verzichtete er darauf, sich am Geländer festzuhalten. Seine Hand prickelte noch immer. Sie mußten dieses Chromgeländer an ein Kühlaggregat angeschlossen haben.
    Er sollte nicht in diesen Raum gehen.
    Der Gedanke entstand so deutlich und klar hinter seiner Stirn, als hätte ihn jemand in seiner unmittelbaren Nähe ausgesprochen. Jan blieb instinktiv stehen und unterdrückte im letzten Moment den Impuls, sich nach rechts und links umzublicken. Er war allein. Niemand hatte irgend etwas in seiner Nähe gesagt, nicht einmal weiter entfernt. Und es gab nicht den geringsten Grund für diese Überzeugung.
    Aber genau das war es. Er wußte plötzlich, daß er nicht dort hineingehen durfte. Etwas Furchtbares würde geschehen, wenn er es tat.
    Leider hatte er keine Wahl. Ihm war mittlerweile entsetzlich übel. Kalter Schweiß bedeckte seine Stirn und seine Wangen, seine Knie fühlten sich zusehends wie Wackelpudding an. Er konnte spüren, wie es in seinen Gedärmen rumorte, und seine linke Hand war jetzt so kalt, daß sie weh tat.
    Er sollte nicht in diesen Raum gehen. Er durfte es
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