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Duenne Haut - Kriminalroman

Duenne Haut - Kriminalroman

Titel: Duenne Haut - Kriminalroman
Autoren: Franz Kabelka
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der Unendlichkeit – also angesichts der unendlich vielen Möglichkeiten, sich wehzutun. Auch wenn der Fleck sich ständig auszuweiten scheint und in seinem Zentrum mittlerweile richtig gelb geworden ist, eine Schwefelader mitten durch den Allerwertesten. Es hätte auch leicht das Knie daran glauben können, oder gar die Hüfte, in der ohnehin seit gut zwei Jahren eine veritable Arthrose hockt, die ihm die Lust raubt an jeder heftigen Bewegung. Den Mambotanzkurs hat er deshalb nach nur sechs Abenden aufgeben müssen: Schau, Lisa, diese Ausfallschritte sind einfach nichts für meine ramponierte Hüfte. Wenn es krümelt und kracht, als hättest du Sand, was sage ich, als hättest du mittlere Felsbrocken im Getriebe, da kommst du dir gleich noch einmal so blöd vor bei diesen Verrenkungen.
    Dabei ist der Mambo noch gar nichts im Vergleich zum argentinischen Tango …
    Mit Schaudern denkt er zurück an ihre gemeinsame letzte Silvesternacht in diesem St. Gallener Keller. Verführt, verhext, verloren! Gefangen im Lasso von Lisa, das sie wie ein waschechter Gaucho wirft, vorwärtsgepeitscht von den rasenden Akkorden der extra aus Patagonien eingeflogenen Musiker, vier wahre Konditionswunder, die im Gegensatz zu ihm keine Pause benötigen. Gitarrengeschrumme, Akkordeongequetsche; Lisa, die ihn umschwänzelt; schmachtende Blicke allüberall. Da Auerhahn, dort Henne. Permanentes Balzen in wiegender Zeitlupe, mitunter beschleunigt zu einem synchronen zackigen Herumreißen der Köpfe, auf das jähe Erstarrung folgt: eine Skulptur schweißgesülzter Eitelkeit, ein – wäre er nicht gezwungen, selbst dabei mitzumachen – faszinierender, von Pathos triefender Augen- und Ohrenschmaus. Und Schweizer Preise für den üppig fließenden Malbec, der hilft, die sonstige Verklemmtheit fasnachtmäßig zu entsorgen. Ein Ausnahmezustand, der die Regel bestätigt.
    Tut es uns noch sehr weh, Herr Hagen?
    Nein, tut es nicht. Aber danke der Nachfrage. Ein lächerlicher Ausrutscher halt, nicht vergleichbar jenem bei der winterlichen Radtour im Bregenzerwald, der ihn vor zwei Jahren ins Krankenhaus gebracht hat, und dennoch: Ein Treppenwitz seiner eigenen Geschichte, weil passiert in total nüchternem Zustand. Aber was sonst soll man auch hier drinnen sein als nüchtern. Wie oft hat er es eigentlich geschafft, im steilsten Gelände sturzbesoffen einen Sturz zu vermeiden? Das Austarieren – eine alte Spezialität von ihm. Vielleicht, dass es etwas mit seinem Sternzeichen zu tun hat, einer Waage ist die Balancierfähigkeit ja angeblich eingeschrieben. Erst hier, auf der ganz und gar unspektakulären Treppe zwischen Therapiebereich und Wohnräumen muss er es fertigkriegen, auszurutschen auf dem abgeschliffenen Lärchenholz und sich, schon im Fallen, ausgerechnet an einem Kaktus festzuhalten …
    Was, zum Teufel, haben langstachelige nordamerikanische Kakteen eigentlich im Stiegenhaus einer psychosomatischen Klinik zu suchen?
    Armer Herr Hagen! Wie konnte das nur passieren?
    Ja, wie eigentlich? Ist das alles vielleicht Teil eines größeren Absturzes? Du musst die Dinge ganzheitlicher betrachten, Tone, hat Lisa immer gesagt. Okay, ihr Kriminaler seid super, wenn es darum geht, etwas zu analysieren und auseinanderzuklauben, keine Frage; aber die Welt lässt sich nicht auf die Summe ihrer Teile reduzieren. Und er darauf: Was hast du gegen das Zerlegen? Im Mikrokosmos ist doch der Makrokosmos enthalten – deine Worte! Und sie lächelt nur, lächelt und macht diese komische Gebärde wie die hinduistische Götterfigur mit den vielen Armen, bevor sie ihm wieder entgleitet, in der nassen Schwärze versinkt, und er greift ins Leere, zu kurz seine langen Handballerarme, viel zu kurz …
    Zeit für den Kaffee, Herr Hagen!
    Wunderbar, danke. Wohltuend, diese Regelmäßigkeit! Um Punkt sieben Uhr fünfundvierzig gibt es Frühstück, ob es regnet oder schneit oder ob, wie heute, die Sonne scheint. Von zwölf bis dreizehn Uhr dann Mittagessen, von siebzehn Uhr fünfundvierzig bis achtzehn Uhr dreißig das Abendbrot. Der Zeitplan ist angesichts der vielen Therapien und Vorträge, die dazwischen zu absolvieren sind, recht engmaschig, aber ihm taugt das. Er schätzt klare Vorgaben und ist froh, wenn sich der Tagesablauf wie von selbst ergibt. Schwer zu verstehen, wieso sich manche Patienten hier über alles und jedes echauffieren müssen: über den Zeitplan, über die Kost, über das polnische und karibische Pflegepersonal. Sich
echauffieren
– eine prächtige
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