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Du stirbst nicht: Roman (German Edition)

Du stirbst nicht: Roman (German Edition)

Titel: Du stirbst nicht: Roman (German Edition)
Autoren: Kathrin Schmidt
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Solche komplizierten Sachen kann sie aber nicht sagen.
Sie sagt:
He, Mads!
oder
Mads, gutag!
Er versteht es. Er versteht es! Ihr Ehrgeiz ist entfacht.
Bist Eulen? , fragt sie ihn. Er guckt. Überlegt er?
Ruft plötzlich: Ja, bin Eulen! Ja, ja!
Sie könnte nicht Jandl sagen, denkt sie. Nicht Mayröcker .
Glück gehabt. Bist Eulen? rutschte ziemlich leicht heraus.

Yvonne Kiering ist nicht mehr da. Sie ist wieder allein.
Wieder?

Der Hinternabwischer hat sie heute entschlaucht.
Einen Schlauch aus der Blase gezogen.
Den Schlauch von der Hand entfernt. ( Die Braunüle bleibt aber!)
Es kommt ihr so vor, als würde auch aus der Leistengegend einiges entfernt werden.
Er gibt ihr ein Gerät, in das sie hineinblasen soll. Die Kugeln, die darin sind, müssen dadurch auf das nächsthöhere Niveau befördert werden. Sie versucht es. Scheitert kläglich.
Außerdem gibt es ein kleines Brettchen mit vier Federn darauf. Das soll sie in die Hand nehmen und die Federn zusammenpressen, mit jedem Finger eine. Sie will mit der rechten Hand danach greifen, aber das gelingt nicht.
Geht nicht.
Warum geht es denn nicht?
Rechte Hand nicht.
Nehmen Sie doch die linke!
Warum?
Hat er die Frage verstanden? Wird er ihr eine Antwort geben? Warum kann sie ihre rechte Hand nicht bewegen?
Er gibt keine Antwort. Stattdessen nimmt er lächelnd ihre linke Hand und presst die Federn zusammen. Mit ihren Fingern.
Was ist eigentlich eine Braunüle?

Der Trupp kommt.
Heute werden Sie verlegt.
Verlegt? Was heißt verlegt? Wollen die nachher etwa so tun, als könnten sie sich nicht mehr daran erinnern, wo sie sie entsorgt haben? Ihre Angst – da ist sie ja wieder.
Guten Tag, Angst.
Schön, dass du mich besuchen kommst.
Die Angst hört nicht auf die freundliche Begrüßung. Sie kommt gleich zur Sache. Steht mit einem Vorschlaghammer in der Zimmerecke, bereit, zuzuschlagen.
Sie kommen auf Station 21 , Ihr Bett wird gebraucht.
Erleichterung. Natürlich, verlegen bedeutet ja nicht nur verschusseln und verschlampen, sondern auch, jemanden den Ort wechseln zu lassen. Eigentlich unfreiwillig, oder?

Der Hinternabwischer kommt mit einem Rollstuhl. Sie wird hineingesetzt und aus dem Zimmer gefahren. Die plötzliche Wärme überrascht sie. Warum ist es jenseits der Türen so kalt, wenn draußen der schönste Sommer herrscht?
Der Hinternabwischer karrt sie zwei Gänge auf und ab, damit sie die Station noch einmal sehen kann, und fährt eine Schleife zum Personalzimmer.
Abschied.
Sie versucht, freundlich zu gucken, aber der Gedanke an Abschied treibt ihr seltsamerweise Tränen aus den Augen.
Ach Mööönsch, Frau Wesendahl, seien Sie froh, es geschafft zu haben! Drei Wochen Intensivstation sind doch wirklich genug!
Intensivstation?
Wieder hört sie es beinahe rattern in ihrem Kopf. Sie überlegt, warum sie hier gewesen sein könnte, kommt aber zu keinem Ergebnis.

II
   
SCHATTENRISSE,
SILHOUETTEN

SIE HAT GUT GESCHLAFEN . So ohne Schläuche ist es schön. Zweimal hat sie aber schon vergessen, die Schwester zu rufen, obwohl der Knopf gleich neben der linken Hand auf dem Bettrand liegt. Nass ist es geworden im Bett. Am Anfang fand sie es angenehm warm. Nun muss sie aber aufpassen, sonst legen die womöglich wieder einen Schlauch in ihre Blase.
Neben dem Bett steht der Rollstuhl. Wenn sie zur Toilette möchte, geht das nicht allein. Eine Schwester kommt, setzt sie hinein, fährt sie hinüber, setzt sie auf die Brille, wartet, wischt ihr den Hintern ab, zieht ihr den Schlüpfer hoch, das Nachthemd wieder runter, fährt sie zurück.
Manchmal wird ihr schlecht, wenn man sie aufrichtet.
Manchmal kommt auf dem Klo nichts. Das passiert, wenn ein Pfleger danebensteht. Sie kann einfach nicht in Gegenwart eines Mannes pinkeln oder kacken. Es verfliegt. Sie fragt sich, ob der Körper es aufsaugt. Absorbiert.
Im Augenblick, da sie das Fremdwort »absorbiert« denkt, rutscht die Plane von einem anderen Fremdwort: Aphasie! Ohne Sprache!
Sie muss lachen, dass sie es für sich mit »Anfang sieben« übersetzt hat.

Achthundertundneunzehn minus vierhundertzweiundfünfzig? Dreihundertsiebenundsechzig. Richtig? Ja.

Sie liegt in einem Dreibettzimmer. Allein.
Allerdings rumpelt es jetzt im Eingangsbereich. Eine Frau wird hereingefahren. Sie bekommt das Bett am Fenster. Das hätte sie auch sehr gerne gehabt. Freundlich nickt sie der Frau zu. Die lächelt.
Hört aber nicht auf zu lächeln.
Ihr Lächeln sieht aus wie mit spinnwebfeiner Angelsehne fixiert. Sie sucht nach Löchern in den
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