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Du stirbst nicht: Roman (German Edition)

Du stirbst nicht: Roman (German Edition)

Titel: Du stirbst nicht: Roman (German Edition)
Autoren: Kathrin Schmidt
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sie auf sie herab.
Ach Mensch, muss das denn sein? Nun kann ich Sie wieder waschen und umziehen. Zur Strafe werde ich Sie fixieren und Ihnen die Decke wegnehmen. Wer weiß, was Sie sonst noch alles anstellen!
Sie mosert weiter, während sie an ihr herumputzt. Die Panzersperren wieder richtet. Die Fingernägel vom Blut reinigt. Als sie fertig ist, bindet sie den linken Arm und das linke Bein mit einem Stück weißen Stoffs am Bettrand fest. Das Bett kommt ihr rund vor.
Da, sie hängt schon wieder einen Sack an den Haken!

Als sie aufwacht, friert sie. Friert sehr. Es ist kalt hier, die Blonde hat ihr doch tatsächlich die Decke weggenommen. Jetzt erstattet sie einer anderen Frau im ebenfalls blauen Kittel Bericht. Die beiden stehen ein Stück ab von ihrem Bett.
Frau Kiering, Yvonne , sagt die Blonde. Lungenriß nach Verkehrsunfall.
Schon wieder. Sie wird noch immer verwechselt. Die Blonde sagt, Yvonne Kiering habe die Nacht ruhig geschlafen.
Natürlich sieht sie sie nicht einmal an, wenn sie solche Lügen verbreitet.
Oder spricht die etwa gar nicht über sie? Sie versucht, langsam, an deren Blick entlangzuwandern. Gelangt an ein anderes Bettgestell, eine andere Frau darauf. Sie scheint nicht bei Bewusstsein zu sein. Sie hat Schläuche in Mund und Nase, am Arm und in der Leiste.
Wo kommt die denn so plötzlich her? Ist sie vielleicht gar nicht die Einzige, die nachts überlebt?
Fragen über Fragen.

Fragen über Fragen. In ihrem Kopf rattert es, wenn sie wach ist. Irgendwie ist sie jetzt länger wach. Deshalb kann es auch länger rattern.
Yvonne Kiering! Geboren 1972 und wohnhaft in Hückelhoven! Jetzt hat sie’s! Sie lacht laut, freut sich, dass sie dahintergekommen ist. Sie will es der Dunkelhaarigen sagen. Die turnt gerade mit Yvonne Kiering herum. Aber die ist doch ohnmächtig! Seit wann kann man denn mit Ohnmächtigen herumturnen? Ach, ist das dumm, dass sie nichts sagen kann. Warum kann sie eigentlich nichts sagen? Im Kopf formt sich doch vor, was sie sagen möchte. Aber es kommt nicht aus dem Mund heraus. Sie hebt die linke Hand mit Schlauch an den Mund. An die Nase. Was, sie hat da auch solche Schläuche wie Yvonne Kiering? Jetzt reicht’s aber. Entschlossen zieht sie. Es tut nicht weh. Sie zieht und zieht. Die Dunkelhaarige schreit auf. Kommt an ihr Bett. Betrübt fragt sie, ob es ihr nicht geschmeckt hat.
Hat es Ihnen denn nicht geschmeckt?
Aber ein bisschen lächelt sie auch.

Es klopft.
Ihr Mann kommt, Frau Wesendahl.
Wesendahl … Ihr Mann kommt. Heißt er auch Wesendahl? Ehe sie darüber nachdenken kann, macht ihr Mann einen Schritt zum Waschbecken hin. Er zieht ein Pflaster ab und nimmt einen Verband vom rechten Auge. Nanu, was hat er denn? Sie würde ihn schon gerne fragen, wirklich. Als er ans Bett tritt, weint er. Hat sie etwa ein Kind bekommen? Das letzte Mal sah sie ihn weinen, als ihre jüngste Tochter geboren wurde. Das ist jetzt fünf Jahre her, und er stand genauso an ihrem Bett wie jetzt. Sie schaut vorsichtshalber nach, ob sie ein Kindsbündel an der Brust hat.
Nein.
Na, das war ja auch nur vorsichtshalber.
Ist er augenkrank? Das würde das Weinen erklären.
Warum hat sie, seit sie hier ist, noch nicht an die fünfjährige Tochter gedacht? Und – sie hat ja noch eine! Und noch eine! Fünf, vierzehn, achtzehn, zwanzig, dreiundzwanzig – ja, wirklich, sie hat ja fünf Kinder! Erstaunlich, was einem so alles einfällt.

Dreihundertsiebenundzwanzig minus acht mal siebzehn. Die Minusaufgabe in Klammern. Das macht dreihundertneunzehn mal siebzehn. Dreihundertzwanzig mal siebzehn sind … fünftausendvierhundertvierzig. Davon noch siebzehn abgezogen, macht fünftausendvierhundertdreiundzwanzig.

Ein Stück von ihren Füßen entfernt, in der Zimmerecke, steht ein Tisch. Zwei Becher Joghurt darauf. Fruchtjoghurt. Schriftstücke. Und ein Bild. Sie versucht, sich zu recken, ist neugierig. Aber das bin ja ich! Das ist doch das Bild von ihr, das sie geklaut haben! Sagte sie nicht, dass sie es wiederkriegen würde? Sie sieht ganz deutlich halblanges dunkles Haar, schmales Gesicht, volle Lippen. Augenfarbe? Das Bild ist schwarz-weiß, es ist nicht zu erkennen. Waren ihre Augen nicht blau? Sie versucht, sich ihre Augenfarbe vorzustellen. Blau. Bei Sonnenschein mit einem Stich ins Wässrige, bei trübem Wetter mit dunklen Sprenkeln durchzogen. Sie ist so froh, dass sie ihr Bild wiederhat.
Was sagst du dazu, Lissy?
Wäre das schön, wenn sie fragen könnte!
Lissy ist nämlich da. Sie ist mit Natascha
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