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Du stirbst nicht: Roman (German Edition)

Du stirbst nicht: Roman (German Edition)

Titel: Du stirbst nicht: Roman (German Edition)
Autoren: Kathrin Schmidt
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die mit den Leuten machen: Sie entziehen ihnen mit unvorstellbarer Hitze, während sie Strom durch die Körper jagen, alle Feuchtigkeit, und zurück bleibt ein trockenes, gerunzeltes Quaderchen. Solche Quaderchen hat sie schon mal gesehen, irgendwo stand eine Mauer, die daraus gebaut worden war. Vielleicht bauen sie sogar Häuser aus den Quaderchen! Hat sie sich dreingeschickt? War gespannt, als sie selbst im Austrockner lag. Der Mann, der ihn bediente, sagte, sie sei irgendwie zu fett, das ginge nicht, er stellte ihn ab und brachte sie zurück.

Zwar hat sie große Angst, aber das macht sie nicht traurig. Darüber wundert sie sich. Es ist halt der Lauf der Dinge, dass man kurz vor dem Ende beinahe alles erfährt … Etwas bäumt sich noch auf, aber das wird kleiner und kleiner. So hatte sie letzte Nacht Hoffnung, von hier abzuhauen. Der junge Hinternabwischer hatte sich neben sie gesetzt. Irgendwie hatte er verstanden, dass sie nicht sterben will. Er gab ihr zu verstehen, dass er sie nachts verstecken würde, in einer Abstellkammer, und am Morgen, wenn sein Dienst zu Ende sei, würde er sie mit hinausnehmen. Sie war glücklich.
Natürlich wurde nichts daraus. Vielmehr kam er am Morgen und verabschiedete sich. Nur mit einem kleinen Blinzeln gab er ihr zu verstehen, dass es misslungen war.
Was soll’s. Er kann ja nicht Arbeit und Leben riskieren, sie hier rauszubringen.

Wenn die Blonde anrückt, wird sie unruhig. Immer fummelt die Blonde an den Monitoren herum und gehört mit Sicherheit zu denen, die sie fernsteuern. Sie schläft ein, wenn die Blonde diese Säcke über ihrem Kopf an den Haken hängt. Obwohl sie nicht schlafen möchte, schläft sie ein. Viele verschiedene Säcke hängt die Blonde nacheinander über ihr auf.

Manchmal, wenn sie munter ist, kommt der Trupp Männer vorbei. Immer noch fragt sie mindestens einer, ob sie ihn höre. Immer noch ist sie zu verstockt, um darauf zu antworten. Immerhin ist sie nicht 1972 geboren worden und wohnt nicht in Hückelhoven. Wenn die sie nicht verwechselt hätten, würde sie vielleicht eher eine Chance haben, hier rauszukommen. Es lohnt sich nicht, den Mund aufzumachen und sich zu bemühen: Sie würden es sowieso nicht glauben.

A-fa-sie.
Natürlich kennt sie das Wort. Aber was bedeutet es nur? Warum fällt ihr das nicht ein? Irgendwoher kennt sie es. Als der Mann im blauen Kittel es aussprach, kam es ihr gleich bekannt vor. Anfang sieben, möchte sie laut sagen. Ja, Afasie könnte eine Abkürzung sein für Anfang sieben! Gegen sieben beginnt hier die Nacht. Sicher werden sie wieder zusammengepfercht, spiralig ausgerichtet, wenn sie ihnen das Bewusstsein abgenommen haben mit ihrem Sack voller Flüssigkeit. Wer stirbt, beobachten sie von außen durch die Glasscheibe. Sie ist so gleichmütig geworden. Wenn sie heute Nacht sterben sollte, wäre das gut, sie wird sich nicht dagegen auflehnen. Warum auch? Sie hat das letzte Geheimnis doch schon erfahren: Sie machen Quaderchen aus den Leuten und stellen sie in die Landschaft.
Anfang sieben also.
Sie nimmt Abschied. Ihre Zeit ist gekommen.

Nanu, sie ist ja noch immer am Leben?
Es ist dunkel. Im Sommer ist es nur in den Nachtstunden dunkel, nicht am Morgen oder am Abend. Also herrscht Nacht. Warum liegt sie nicht in der großen Spirale mit den anderen? Vielleicht hat sie wieder unerwarteterweise als Einzige überlebt? Wenn die Aktion Anfang sieben begonnen hat, war sie vielleicht gegen neun schon zu Ende, und sie haben sie zurückgebracht.
Irgendetwas juckt unerträglich auf ihrem Kopf, sie will sich kratzen. Will auch die rechte Hand sie kratzen? Nein, will sie nicht. Sie liegt wie abgeschnürt auf der Bettdecke. Also muss sie es mit der linken versuchen. Sie reißt sie gegen alle Widerstände hoch, und tatsächlich, sie kann ihre Haare anfassen. Aber da, wo es juckt, hat sie keine Haare. Was ist mit den Haaren passiert? Deshalb haben sie ihr Bild von sich geklaut! Ha, sie wird es zurückerobern, das verspricht sie sich. Mit aller Kraft beginnt sie, die Finger über die Kopfhaut zu ziehen. Sie kommen nicht weit. Kleine metallene Panzersperren stecken im Schädel, sie versucht, zwei oder drei herauszubrechen. Plötzlich spürt sie die Flüssigkeit an den Fingern. Sie kostet. Das ist Blut! Woher nehmen die das Recht, diese Panzersperren in ihre Schädelplatte zu rammen? Sie beginnt zu schreien, sich im Bett, in dem sie unzweifelhaft liegt, herumzuwerfen.
Jemand kommt. Die Blonde? Tatsächlich. Auch das noch. Mürrisch sieht
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