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Drei sind einer zuviel

Drei sind einer zuviel

Titel: Drei sind einer zuviel
Autoren: Barbara Noack
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um ein
Wiedersehen zu bitten, nicht mal höflichkeitshalber, erwähnte Karlchen, daß sie
noch mindestens eine Woche in Niederbayern zu tun hätte.
    Da endlich kam Benedikt auf die Idee, »Wenn Sie
Lust und Zeit haben, schauen Sie noch mal vorbei« zu sagen.
    »Ja, vielleicht geht’s noch mal. Vielleicht
übermorgen — Wiedersehen...«
    Beide Männer winkten dem abfahrenden Kombi nach,
standen noch einen Augenblick auf dem besonnten Platz, wo die Marktfrauen ihre
Stände abbauten. »Die hat einen echten Sorgetrieb«, sagte Peter schließlich.
    »Ja.«
    »Komisches Mädchen.«
    »Aber nett«, meinte Benedikt.
    In diesem Augenblick kam der dicke Loisl aus der
zweiten Klasse direkt auf sie zugeradelt.
    »Herr Lehrer, ich war beim Doktor«, meldete er
wichtig. »Ich hab die Masern.«
    »Du hast was?« fragte Peter erschüttert.
    »Die Masern. Pfüet di, Herr Lehrer. Ich radel
nun ins Bett.«
    Peter schaute ihm bekümmert nach. »Mannohmann.«
    »Masern sind doch nicht tragisch.«
    »Der Loisl hat der halben Klasse beim Aufblasen
der Ballons geholfen. Nun stellen Sie sich mal vor!«
    Benedikt stellte sich vor und lachte. »Sie
meinen, er hat die Klasse mit Masern verseucht?«
    Sie trennten sich ohne Verabredung, weil viel zu
verschieden, um im anderen einen möglichen Freund zu sehen.
    Peter war ein drahtiger, sportlicher, geradeaus
denkender Sonnyboy aus einer Handwerkerfamilie, Benedikt der verhätschelte Sohn
einer vor einigen Jahren verstorbenen Berliner Modeschöpferin, sensibel,
musisch, labil, völlig unsportlich und Kettenraucher.
    Vielleicht würden sie sich mal auf ein Bier
zusammensetzen, wenn es sich zufällig ergab...
     
    Was die zweite Klasse anbelangte — nach Ablauf
von neun Tagen leerte sie sich schlagartig. Außer den Schülern, die sich
bereits zu einem früheren Zeitpunkt bei älteren Geschwistern mit Masern
versorgt hatten und somit immun gegen Ansteckung waren, kam keiner mehr zum
Unterricht. Man schickte auch sie nach Hause und schloß die Klasse
vorübergehend. Und daran war nur der LAA Melchior mit seinen Luftballons
schuld.
     
    Karlchen hatte Niederbayern nach Aufträgen
durchforstet und abgehakt, Peter und Benedikt mehrmals besucht und steuerte nun
das Betonsilo in München an.
    Auf der Couch im Wohnzimmer empfingen sie Onkel
Ernst und Marianne einträchtig beieinanderhockend und klagten synchron: »Wo
warst du, Charlotte?«
    Ihren Koffer absetzend, versuchte sie eine
Entschuldigung: »Ich hab ja nicht gewußt, daß ihr in München seid.«
    »Du hast auch nie in Montabaur angerufen«, sagte
Onkel Ernst vorwurfsvoll. »Seit sieben Tagen nicht.«
    Und Marianne im gleichen Tonfall: »Du hast auch
noch keinen Auftrag geschickt.«
    Und dann wieder beide synchron: »Was treibst du,
Charlotte? Gib Laut!«
    Karlchen holte tief Luft. »Kann ich mich nicht
erst mal über euch freuen?«
    Da verschoben sie ihre Vorwürfe auf später und
breiteten endlich die Arme aus.
    Onkel Ernst war ein Zweizentnerbrocken so um die
Sechzig. Marianne, die seit fünfzehn Jahren diesen Choleriker ertrug, wirkte
neben ihm mit ihrer Knabenfigur und den kurzen, verwuschelten Haaren wie ein
alternder Teenager. Die Fünfzig sah man ihr auf gar keinen Fall an.
    Beide bildeten den Grundstock »Zuhause« für Karlchen,
die mit zehn Jahren ihre Eltern verloren hatte. Es gab damals nähere Verwandte
als Onkel Ernst — Schwestern und Brüder ihrer Eltern, aber die blätterten
genügend Gründe auf, die sie davor bewahrten, das Kind aufzunehmen. Nur der
entfernte Ernst und seine Marianne hatten keinen Augenblick überlegt. »Bei uns
wird sowieso alles abgeladen, was andere nicht haben wollen.«
    So waren sie im Laufe der Jahre nicht nur zu
Karlchen, Katzen, Hund und anderen Heimatlosen gekommen, sondern auch zu dem
zwergenwüchsigen Eduard Lauterbach, der in einem Heim aufgewachsen war und nun
kunstvoll ihre Keramiken bemalte.
    Nach dem Begrüßungskonzert begehrte Onkel Ernst
sachliche Auskünfte zu hören. Erstens: »Wo kommst du eigentlich her?«
    »Aus dem Bayerischen Wald.«
    »Du wolltest doch in München anfangen?« setzte
er sein Verhör fort.
    »Ich — ich habe mir gedacht, mach es mal von
oben rechts nach unten links.«
    »Was?« Marianne kam nicht ganz mit.
    »Na, Bayern. Ich meine, wenn man vor der
Landkarte steht.«
    Onkel Ernst und Marianne stellten sich das
geistig vor.
    »Und was«, fragte er, »hast du bisher oben
rechts erreicht?«
    Karlchen nahm ihre Tasche, zog ihre Unterlagen
heraus und gab sie ihm.
    »Das
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