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Drachenland: Roman (German Edition)

Drachenland: Roman (German Edition)

Titel: Drachenland: Roman (German Edition)
Autoren: Michael Reaves
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Sie erhob sich taumelnd und begann zu laufen.
    Sie rannte in blindem Entsetzen, ohne auf die Richtung zu achten. Es war in der Dunkelheit etwas über sie hinweggeflogen, etwas Unsichtbares und Riesenhaftes. Seine Anwesenheit erfüllte die Umgebung mit dem Atem des Grauens.
    Sie rannte weiter, wie von Sinnen und so verschreckt, dass sie nicht einmal schrie, bis sie über einen verfaulten Baumstamm stolperte und hinfiel.
    Wieder hörte sie das Geräusch; es kam näher. Jetzt hörte es sich so an wie das Schlagen riesiger Flügel. Analinna kannte kein so großes Lebewesen, das fliegen konnte. Sie versuchte zu rufen, nach ihrem Vater zu rufen, in der verrückten Hoffnung, er könnte irgendwie auftauchen und sie retten. Aber bevor sie seinen Namen auch nur halb herausbrachte, verschlug ihr eine Sturmbö explosionsartig die Sprache, und sie wurde vom Boden gehoben.
    Das Schlagen der Flügel wurde langsam leiser, bis es wieder still war in den Warkanen. Wie ein sterbender Vogel flatterte ein grüner Stofffetzen zu Boden und blieb mitten auf der Kreuzung liegen.

3
     

     
    Ein frischer und klarer Morgen zog über dem Spindeliner Wald herauf, im Westen von Tamberly. Singvögel begrüßten die ersten Sonnenstrahlen. Im Wald, wo die Bäume bis dicht an die Mesa wuchsen, stand ein großes altes Haus. Seine Wände waren aus Stein und Holz, und das Strohdach befand sich in schlechtem Zustand. Das hintere Ende des Hauses war direkt in den hohlen Stamm eines besonders großen Baumes hineingebaut. Ein Bach floss am Haus entlang und drehte ein Wasserrad mit einem beruhigenden, gleichmäßigen Geräusch.
    Amsel kam aus dem Haus mit einem Fass voller Abfälle, die er in seinem Gartenstück eingraben wollte als Kompost. Er ließ sich auf einer verwitterten Holzbank nieder, holte tief Luft und sah zu, wie sich sein Atem in der kühlen Frühjahrsluft milchig abzeichnete. Amsel hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, morgens eine Weile dem rieselnden Wasser und dem Gesang der Vögel zu lauschen. Er war klein – klein und drahtig, mit einem dicken Schopf weißen Haars unter seinem Schlapphut und einem Gesicht, das auf irgendein Alter zwischen dreißig und fünfzig schließen ließ. Er trug lose sitzende grüne und braune Kleidung mit vielen Taschen. In den Taschen befand sich alles Mögliche: ein in Leder gebundenes Pergamentnotizbuch, ein Federkiel, der einen Vorrat an Tinte mit sich führte (Amsels eigene Erfindung), ein Magneteisenstein, ein kleiner Hammer (um interessante Gesteinsproben abzuschlagen), ein kleines Netz aus Tanselgewebe (um interessante Insektenarten zu fangen) und eine Brille (ebenfalls Amsels Erfindung). Er war gern auf alle Möglichkeiten vorbereitet.
    Er lebte allein in diesem alten Haus, fern der Stadt und ohne Nachbarn, und er hatte nicht das Gefühl, dass ihm deshalb etwas fehlte. Bei seiner unersättlichen Neugier und seinem Drang, die Natur zu untersuchen, war dieses Leben gerade recht. Er hatte sich gut angepasst, wenn auch mit einigen verschrobenen Angewohnheiten. Er band seine Kleider am Wasserrad fest, um sie zu waschen, und er führte oft Selbstgespräche. Das tat er auch jetzt. Er rieb sich die Schläfe mit einem Knöchel und grübelte: »Was stand also für heute auf dem Arbeitsplan?« Mit geschlossenen Augen versuchte er, sich zu konzentrieren, gab dann seufzend auf und zog sein Notizbuch aus einer seiner Taschen. Mit einem Kopfnicken und einem »Aha!« bei einer der dicht beschriebenen Seiten erhob er sich und ging um das Haus herum einen Pfad hinunter zu der Lichtung, wo sein Experimentiergarten ihn erwartete. Es gab lange Reihen seltener und ungewöhnlicher Pflanzen hier; bei einer blieb Amsel stehen und betrachtete sie. Es war ein Busch voller kleiner schwarzer Schoten mit knotiger Schale. Nachdenklich zog Amsel eine vom Stängel, wobei die Schote platzte und ein kräftiger, aber angenehmer Geruch ausströmte, der fast dem von Zitrusfrüchten glich und Amsel an Nektarinenblüten erinnerte. Vorsichtig pflückte er mehrere Schoten und ging dann zurück ins Haus.
    In seiner Werkstatt untersuchte er eine Schote genau; dann zog er das Notizbuch aus der Tasche und machte mit seiner Feder einen Eintrag. Die Werkstatt war geräumig und gut beleuchtet, mit einer niedrigen, von Balken durchzogenen Decke. Auf mehreren Borden waren sehr unterschiedliche Dinge untergebracht: Kalender, Schriftrollen, Pergament und Velin zum Schreiben und Zeichnen, eine große Sammlung versteinerter Knochen und Steingutbehälter,
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