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Dr. Siri sieht Gespenster - Cotterill, C: Dr. Siri sieht Gespenster - Thirty-Three Teeth

Dr. Siri sieht Gespenster - Cotterill, C: Dr. Siri sieht Gespenster - Thirty-Three Teeth

Titel: Dr. Siri sieht Gespenster - Cotterill, C: Dr. Siri sieht Gespenster - Thirty-Three Teeth
Autoren: Colin Cotterill
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rollten und auf das Kissen fielen.
    »Danke. Ich sah auf meine Uhr und dachte an den Mond. Wenn ich fliehen wollte, musste es vor Mitternacht geschehen. Er prügelte immer wieder auf mich ein, schlug mir brutal ins Gesicht, ohne Grund. Ich war schon ziemlich schwach, aber ich wusste, dass es nur eine Chance gab. Einmal ging er mit der Lampe davon, und ich nahm meine ganze Kraft zusammen und lief in entgegengesetzter Richtung in die Dunkelheit. Ich glaube, da hatten meine Nerven die Schmerzen bereits ausgeschaltet. Ich spürte meine Beine kaum noch, aber die Angst trieb mich an.
    Ich weiß nicht, wie lange ich so durch die Finsternis wankte. Ich konnte mich nirgends verstecken. Ich wusste nicht, wohin ich lief, aber ich betete, dass ich einen Ausgang finden würde. Auf einmal sah ich ein Licht. Ich war so froh, dass ich in meinem Fieberzustand glaubte, ich sei gerettet. Aber als ich näher kam, starrte ich von Neuem in Seuas blutverschmierte Fratze.
    Diesmal prügelte er mich bewusstlos. Irgendwann wachte ich auf, und mir bot sich ein unglaublicher Anblick. Ich weiß bis heute nicht, ob es nicht doch nur ein Traum war, aber es wirkte so echt.«
    »Schildern Sie mir alles ganz genau.«

    »Also, die Taschenlampe lag auf dem Boden und strahlte Seua an. Er hatte sich verändert, seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte. Nein, er hatte sich nicht verwandelt, er hatte sich verkleidet. Plötzlich war mir alles klar. Es gab keinen Wertiger. Er hatte sich vielmehr ein zweites Ich, eine geheime Identität zugelegt.
    Er trug ein Fell. Wer weiß, von welchem Tier – oder von welchen Tieren – es stammte. Er hatte es sich mit Seilen um den Körper gebunden. Es bedeckte auch seine Arme und Beine. Und er trug eine Kapuze. Sie war ebenfalls aus Fell, aus schwarzem Fell, in das er Löcher für die Augen geschnitten hatte. Er war praktisch von Kopf bis Fuß vermummt, aber ich erkannte ihn an seinen Bewegungen.
    Er hatte eine Pfote an seinem linken Handrücken befestigt. Eine echte Tierpfote, deren Krallen über seine Finger ragten. Wenn er die Faust geballt hätte, wäre sie zu einer tödlichen Waffe geworden. Es ist kaum zu glauben, wie klar mir das alles vor Augen steht, wie genau ich mich an diese paar Sekunden erinnere. Auf dem Boden neben ihm lag der Kieferknochen eines anderen, vielleicht aber auch desselben Tieres. Die Zähne waren messerscharf. Ich hatte den Eindruck, dass er ihn weggeworfen hatte. Er passte beim besten Willen nicht zum Rest des Kostüms.
    Ich beobachtete gebannt, welche Veränderung mit Seua vor sich ging. Es war unglaublich. Irgendetwas war in ihn oder, besser, in seine Kapuze gefahren. Er riss panisch daran, mit beiden Händen, als ob ein Insekt oder eine Ratte hineingekrochen wäre. Schließlich zerrte er sie sich vom Kopf, wobei er sich die Krallen aus Versehen quer übers Gesicht zog. Sie hinterließen eine tiefe, blutende Wunde über seinem Auge.
    Aber das erlöste ihn anscheinend nicht von seiner Qual.
Im Gegenteil, es machte alles nur noch schlimmer. Er schlug sich immer wieder gegen den Kopf, als ob das, was eben noch in seiner Kapuze gewesen war, jetzt in seinem Schädel sei. Ich war fassungslos. Er lief mit voller Wucht kopfüber gegen die nächste Wand. Einfach so. Als würde er den Kopf eines anderen gegen die Wand schmettern. Es half nichts. Er rannte sich ein zweites Mal den Schädel ein, dann packte er seine Ohren, als ob er sich den Kopf abreißen wollte. Und bei Buddha, genau so war’s. Er stand vor mir, zerrte mit beiden Händen an seinem Kopf und brach sich selbst das Genick. Er riss ihn sich fein säuberlich von den Schultern. Er plumpste zu Boden wie der Kopf einer Puppe.
    Ich weiß noch, dass ich schrie. Dann verlor ich das Bewusstsein und irrte durch das Albtraumland, bis ich heute Morgen aufwachte und Ihre weißen Haare auf meinem Bett sah.«
    »Das war vorgestern.«
    »Kein Wunder.«
    Siri hatte ihrer beider Tränen mit einem Handtuch fortgewischt. Kaum war sie mit ihrer Geschichte zu Ende, versiegten die Tränen, und sie lächelte. Sie hatte ihren Dämon zwar nicht besiegt, aber sie hatte ihn gebändigt.
    »Und ich hatte schon Angst, ich hätte bei der Obduktion einen Fehler gemacht«, sagte Siri. »Ich wurde aus der Sache einfach nicht schlau. Wer reißt sich auch den eigenen Kopf ab, egal in welchem Geisteszustand er sich befindet? Ich musste annehmen, dass Sie oder eine andere Person es getan hatten. Aber seine Leiche wies keinerlei Spuren eines Kampfes auf.
    Die Kratzer
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