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Dornroeschenmord

Dornroeschenmord

Titel: Dornroeschenmord
Autoren: Anna Kalman
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nach Schädlingen, entfernten den alten Humus von den Wurzeln. Mit einem dumpfen Klatschen fiel die feuchte Erde auf ein Stück Zeitungspapier wie auf einen Sargdeckel. Die Hand hielt inne und schob den Klumpen zur Seite. Vorsichtig fuhr sie über das Stück Papier, das darunter zum Vorschein kam. Es zeigte die Fotografie der jungen Frau mit den Saphirohrringen.
     
    Kurz vor eins schloß Mandy die Bürotür auf. Ihre Erscheinung wäre auch an diesem Morgen durchaus elegant und souverän gewesen, hätte sie nicht vergessen, die rosa Kühlbrille à la Norma Desmond vom Gesicht zu nehmen. Sie hatte sie, gleich nachdem Edward gegangen war, aufgesetzt, um ihren vom Weinen verquollenen Augen Linderung zu verschaffen.
    Erst als sie in ihrem Büro in den Spiegel blickte, bemerkte sie, daß sie wie ein schwuler Zorro durch halb München gefahren war. Entsetzt riß sie sich die Maske von den Augen, türmte ein paar Akten auf den Schreibtisch und wollte gerade den Computer einschalten, als es an der Tür läutete.
    Cordula Schiller war klein und mollig. Mandy schätzte sie auf Anfang Vierzig. Ihr Existentialisten-Outfit hätte sicherlich Sartres größten Beifall gefunden: schwarzer Rolli, schwarze Hosen, schwarze Stiefeletten, schwarze Augen. Das dunkle Haar trug sie zu einer wirren Lockenfrisur aufgesteckt, die fatal an ein Krähennest erinnerte.
    »Der Kaffee ist noch nicht fertig, meine Sekretärin hat gerade Mittagspause«, log Mandy drauflos. »Aber wenn Sie einen kleinen Augenblick warten, koche ich uns einen.«
    »Bitte nicht so viele Umstände. Aber wenn Sie vielleicht einen Eisenkrauttee mit etwas Honig hätten …«
    Mandy zog erstaunt die Augenbrauen hoch.
    »Oh, nein, damit kann ich leider nicht dienen. Aber wie wäre es mit einem Glas Mineralwasser, natriumarm und ohne Kohlensäure?« Sie schenkte der Frau ein überschwengliches Lächeln.
    »Ja, äh, danke …« Cordula Schiller schien etwas irritiert.
    Mandy verschwand in der Küche, wo sie eine Flasche Perrier schüttelte und schließlich die Kohlensäure zischend entweichen ließ. Hastig schenkte sie ein Glas voll, brachte es ihrer Klientin und setzte sich hinter ihrem Schreibtisch in Positur.
    »So, Frau Schiller, womit kann ich Ihnen denn helfen?«
    Cordula Schiller war Regisseurin bei Europa-Film und verantwortlich für eine Dokumentationsreihe mit dem Titel »Lebensbilder« über Menschen mit außergewöhnlichen Biographien. Wie die des Arztes Richard Grasser, über den sie gerade einen Film gedreht hatte.
    Der Mann war dreiundfünfzig Jahre alt und stammte aus Eichberg, einem kleinen Dorf in der Rhön. Nach dem exzellenten Abschluß seines Maschinenbaustudiums war er sofort in die Chefetage des Rüstungsunternehmens MBB eingestiegen. Aus Gründen, die sich auch Cordula Schiller nicht erklären konnte, hatte er die hochdotierte Position schnell wieder aufgegeben, um Testfahrer bei BMW in München zu werden. Diese Aufgabe führte ihn um die halbe Welt, doch in seiner Sehnsucht nach Ruhm und immer größeren Herausforderungen spezialisierte Grasser sich schließlich auf Motorradrennen. Seine Erfolgssträhne hielt an, bis er bei den Weltmeisterschaften im weißrussischen Minsk so schwer verunglückte, daß er zwei Jahre mit einer spinalen Querschnittslähmung in der Murnauer Unfallklinik verbringen mußte. Sein Überlebensdrang war offenbar gewaltig, denn mit eisernem Willen und durch alternative Behandlungsmethoden gelang seine sensationelle Heilung.
    Danach studierte er – mit Ende Dreißig – selbst Medizin und eröffnete anschließend seine eigene Praxis mit Schwerpunkt Akupunktur. Doch damit war seine außergewöhnliche Geschichte noch längst nicht beendet. Durch einen Zufall traf er den Wiener Burgschauspieler Josef Meinrad. Der gab ihm zwei Jahre privaten Schauspielunterricht, und auch auf diesem Gebiet heimste er einen Erfolg nach dem anderen ein. Seine Vita wies unzählige Engagements bei Fernsehen und Theater auf, sogar eine Hollywood-Produktion war darunter.
    Richard Grassers Geschichte löste auch bei Mandy Sprachlosigkeit aus, und sie wunderte sich, daß sie nie zuvor von ihm gehört hatte.
    »Ich gebe Ihnen recht, seine Lebensgeschichte ist ungewöhnlich«, sagte sie schließlich, »aber ich sehe nichts, wofür man ihn belangen könnte.«
    »Auf den ersten Blick sicherlich nicht. Aber durch Zufall sind wir dahintergekommen, daß einige Details seiner Geschichte nicht stimmen. Deshalb glauben wir jetzt – das heißt die Redaktion und ich –,
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