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Dornenliebe

Titel: Dornenliebe
Autoren: Christine Feher
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die Überführung der Leiche, die erstarrten, grauen Gesichter der Eltern, schließlich die Trauerfeier. Das viele Schwarz, weiße Blumen, das Geräusch verhaltenen Schluchzens in der Kapelle, das Schnäuzen in Hunderte von Taschentüchern, hinterher hieß es, es war schön zu sehen, wie viele Menschen Thore geliebt haben. Seitdem ist Luna allein.
    Ihr Handy vibriert in der Umhängetasche, Luna öffnet den Schiebemechanismus, das Display blendet fast in ihren Augen. Eine SMS von ihrer Mutter. Luna antwortet, es gehe ihr gut und sie sei schon weit gekommen mit dem Einrichten, wolle jetzt ins Bett gehen. Von der Party muss Mutter nichts wissen, eine Party passt noch nicht. Als die SMS gesendet ist, öffnet Luna ihr Fotoalbum. Thore. Das letzte Foto von ihm, beim Essen am Abend vor dem Unfall, es hatte gegrillten Fisch gegeben, er hält seinen auf die Gabel gespießt in die Höhe, mit leuchtenden Augen, als hätte er den Fisch selbst gefangen. Thores Haare waren noch nicht ganz trocken, wie immer war er länger im Wasser geblieben als alle anderen, war beim Sonnenuntergang noch einmal schwimmen gegangen, hatte danach nur eilig sein T-Shirt wieder übergestreift, statt wie die meisten anderen erst zu duschen, um das Salz von der Haut zu bekommen. Am Tag darauf hatte Luna keine Fotos mehr gemacht. Wie oft hat sie dieses schon angestarrt, seit Thore tot ist, und doch öffnet sie es immer wieder, um zu begreifen, um ihn zurückzuholen, um in seinem lachenden Gesicht eine Antwort zu finden auf all die Fragen, die immer wieder in ihr auftauchen.
    Luna weiß nicht, wie lange sie so gesessen hat, mit der Zeit ist ihr Blick von Thores Bild abgeschweift und in dem dunklen Raum umhergewandert, hat die Umrisse der Möbel abgetastet. Erneut spürt sie ihre Müdigkeit und
den langen Tag, der hinter ihr liegt, die ganzen schrecklichen Wochen und Monate. Ganz kurz nur die Augen zumachen, denkt sie; dann bin ich bestimmt gleich wieder fit und schleiche mich wieder rüber. Nicht, dass Sarah irgendwann gehen will und denkt, ich sei schon weg, weil sie mich nicht findet. Luna weiß nicht mal, ob Sarahs Jacke auch hier in diesem Zimmer liegt.
    Als sie kurz darauf wieder hochschreckt, nimmt sie in einer Ecke eine Bewegung wahr und zuckt mit einem leisen Aufschrei zusammen, erkennt die Umrisse eines Mannes, der sich über das Bett beugt und den Kleiderhaufen durchwühlt. Auch der Mann hält in seiner Bewegung inne, noch immer leicht gebeugt, den Oberkörper zu ihr gewandt.
    »Entschuldigung«, sagt er, und Luna ist überrascht von seiner tiefen, warmen Stimme. »Ich … habe nicht bemerkt, dass hier noch jemand ist.«
    Luna steht auf, der Ohrensessel knarrt leise, als sie sich erhebt. »Das macht nichts«, sagt sie und streicht sich die Haare glatt. »Ich wollte gerade gehen.« Sie blickt unschlüssig im Zimmer umher, müsste jetzt ebenfalls nach ihrem Mantel suchen, doch sie traut sich nicht, näher an ihn heranzutreten, er hat seine Jacke noch nicht gefunden.
    Er richtet sich auf, ohne den Blick von ihr zu wenden, mit zwei Schritten ist er beim Lichtschalter, vergewissert sich, ob es sie störe, wenn er den Raum ein wenig erhelle, er dimmt das Licht nur schwach, gerade so, dass sie einander sehen können. Dann kommt er zu Luna und reicht ihr die Hand. Erst jetzt erkennt sie an seinem Gesicht, an den Wangen, wie jung er noch ist.
    »Falk Wolter«, stellt er sich vor. »Du willst schon weg … ich übrigens nicht, hab nur nach meinen Zigaretten gewühlt … schlimmes Laster, ich weiß, auch wenn ich nur Gelegenheitsraucher bin.« Er grinst verschmitzt, wird
jedoch gleich wieder ernst. Dunkelbraune Augen, denkt Luna, genauso warm wie seine Stimme. Jazz passt zu ihm. Sein Haarschnitt ist ganz akkurat und betont seinen schönen Hinterkopf, das hat sie gleich gesehen, als er sich über die Mäntel gebeugt hat, aber die einzelnen Strähnen, die ihm vorn in die Stirn fallen, verleihen seinem Aussehen dennoch etwas Lässiges. Das also ist Falk.
    »Macht doch nichts«, hört sie sich sagen. »Ich heiße Luna. Irgendein Laster hat jeder, oder?«
    »Du rauchst nicht?«, vergewissert er sich, neigt die Zigarettenpackung ganz leicht in ihre Richtung. Luna schüttelt den Kopf.
    Falk schiebt die Schachtel in die Brusttasche seines Hemdes, dann berührt er Luna ganz leicht am Ellbogen, nur mit zwei Fingerspitzen. »Du hast ganz alleine hier im Dunkeln gesessen … Geht’s dir nicht gut?«
    »Doch«, beeilt sich Luna zu sagen. »Doch, es geht schon,
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