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Dornenliebe

Titel: Dornenliebe
Autoren: Christine Feher
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endlose, ineinander übergehende Songs, die in Lunas Ohren alle gleich klingen. Sie kippt ihren Rotwein in einem Zug und schenkt sich nach. Irgendjemand versucht, sie auf die Tanzfläche zu ziehen, aber sie schüttelt die fremde Hand ab, eilt aus dem Zimmer, geht an der Küche vorbei, will wieder zur Toilette, aber die ist von innen verriegelt, vielleicht gibt es ein zweites Bad, in so einer großen Wohnung kann das sein. Dann erkennt sie die Tür des Zimmers, in dem die Jacken liegen, und tritt ein.
    Wie schön kühl es hier ist, denkt sie, kühl und still. Neben der Tür ertastet sie im Dunkeln einen Lichtschalter, der mit einem Dimmer ausgestattet ist und leise zu summen beginnt, als sie darauf drückt, selbst dieses Geräusch ist ihr schon zu viel und sie schaltet das Licht
wieder aus, man sieht auch durch die hereinscheinende Straßenlaterne genug. Es duftet nach frischer Bettwäsche, getragenen Kleidern und ein wenig nach Lavendel, das Bett ist unter den zahlreichen Jacken der Partygäste kaum noch zu erkennen. Luna sehnt sich danach, die Kleidungsstücke einfach zu Boden zu fegen und sich auf das Bett fallen zu lassen, zu schlafen bis zum nächsten Morgen. Sie will nicht mehr raus zu den anderen, sich nicht unterhalten, nicht tanzen. All die aufgedrehten Leute auf der Party nerven sie, sie ist noch nicht so weit, will nach Hause, auch wenn es noch kein Zuhause ist, alles andere hat noch Zeit, Leute kennenlernen, dazu muss man wach sein, ausgeruht, Lust drauf haben.
    Unter dem Fenster entdeckt Luna einen alten Ohrensessel und sinkt sofort hinein, genießt es, nicht mehr stehen zu müssen, nichts zu tun. Minutenlang verharrt sie so, spürt den leichten Schwindel in ihrem Kopf, der vom Rotwein kommt, kommt sich blöd vor, weil sie die Party nicht genießen kann. Thore hätte gesagt, halt die Augen auf, du weißt nie, wen du triffst, es kann immer eine Begegnung dabei sein, die dein Leben verändert. Luna will nicht an Thore denken. Sie denkt jede Sekunde an ihn.
    Thore am Strand. Sie waren zusammen auf einem Campingplatz in Portugal gewesen, es war nicht der erste Urlaub ohne Eltern. Wie immer hatte er schnell Anschluss an andere Jugendliche gefunden und es damit auch seiner Schwester leichter gemacht, Bekanntschaften zu schließen. In großen und kleinen Gruppen waren sie im Meer geschwommen, hatten Bootsausflüge mitgemacht, Partys gefeiert, waren durch kleine Fischerdörfer gebummelt, hatten einfach die Ferien genossen.
    Dann der Unfall.
    Thore und ein paar andere Jungen waren bei einem Bootsausflug auf den höchsten Felsen einer Steilküste
geklettert und ins Wasser gesprungen, gelacht hatten sie und geschrien, waren wieder aufgetaucht, dann alles noch mal von vorne, immer wieder, der Felsen war sicher mehr als fünfzehn Meter hoch. Thore hatte so frei gewirkt, so stark, so übermütig. Nach kurzer Zeit hatte ihm der Felsen nicht mehr gereicht, er war weitergeklettert und hatte einen noch höheren entdeckt, Luna hatte ihn im Gegenlicht der gleißenden Mittagssonne nur noch wie eine winzige Figur oben stehen sehen, lachend und winkend. Mit einer Art Urschrei war er abgesprungen, in der Luft wild mit Armen und Beinen rudernd, einen Salto versuchend, bis er im Wasser aufkam.
    Das Geräusch des Aufpralls. Anders als sonst. Die Stille danach. Kein Auftauchen. Kein Jubeln und hastiges Ausschütteln der Haare am Strand, um gleich noch einmal zu springen. Keine glitzernden Tropfen auf sonnengebräunter Haut, nicht wie sonst Thores breites Lachen, nie mehr. Nie mehr von jenem Moment an, nie mehr in Zukunft.
    Türkisfarbenes Meerwasser, das sich langsam verfärbte, unwirklich, sich erst langsam verdunkelte, gelblich, einfach nur dunkler, trüber wurde, und dann rot. Der Körper, der an die Oberfläche trieb, reglos und stumm. Thores Körper. Auch unter Wasser hatte es Felsen gegeben, Thore hatte es nicht überprüft, er war einfach gesprungen.
    Das Geschrei ringsum, die Aufregung der anderen, Lunas Erstarrung, Geräusche und Bewegungen wie im Nebel, trotzdem hatte sie Fragen beantwortet, mit den Eltern telefoniert, den Wagen mit dem Blaulicht wegfahren sehen, das fremd klingende Martinshorn gehört, obwohl jeder wusste, dass es zu spät war. Der Beistand einer Betreuerin, die kaum älter war als Luna selbst und voller Angst, weil sie doch die Verantwortung für die Campinggäste hatte. Thore war volljährig gewesen, erwachsen. Trotzdem.

    Die Heimreise im Flugzeug, keine fünf Tage der drei Urlaubswochen waren vorbei,
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