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DoppelherzTOD

DoppelherzTOD

Titel: DoppelherzTOD
Autoren: Henner Kotte
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haben. Seine Zukunft wäre sicherer gewesen, Stress inklusive. Er rauchte schnell. Es war kalt und es nieselte. Die Kippen schwammen in nasser Asche.
    Kain kam in den Gastraum zurück und lief zur Theke. Frederike zupfte ihn sofort am Ärmel, wies mit den Augen unauffällig zum Eingang. Das Ritual spielte sich fast täglich seit mindestens drei Wochen ab. Kain wusste, wer den Waschsalon betreten hatte. Dicke Strumpfhosen, gestreifter Wollpullover, grober Rock bis über die Knie, ausgetretene Schuhe. Die Augen Rebecca Loepkis schienen bereits alles Elend der Welt gesehen zu haben, dabei war die Frau keine zwanzig. Es fiel Kain schwer, ihr unbelastet entgegenzutreten. Tag für Tag saß sie im Café und wartete und wartete vergebens. Ihr Töchterchen hatte sie seit fast einem Monat nicht mehr gesehen.
    Kain erinnerte sich an den Einsatz der Kollegen. Die forsche Kriminalkommissarin hatte auch ihn verhört. Er hatte ihr nichts sagen können. Für ihn war Rebecca Loepki ein Gast wie jeder andere gewesen. Aber nicht mehr danach.
    Rebecca Loepki hatte auch vor drei Wochen in Frederikes Waschsalon auf ihre Tochter gewartet. Der Vater hatte sie für ein Wochenende in Betreuung, jetzt wollte die Mutter ihr gesamtes Sorgerecht wieder wahrnehmen. Nur sah Rebecca Loepki weder Vater noch Kind an diesem Tage. Ihre Tochter hatte sie seitdem nie wieder gesehen, den Vater schon. Sie und ihr geschiedener Mann stritten noch immer in zweiter Instanz, wie Unterhalt und Besuche geregelt werden. Rebecca Loepki mochte mit dem Exgatten, wenn möglich, nichts mehr zu tun haben, und sie kämpfte dafür. Er hatte sie geschlagen, sie bedroht, ihr Ausgang und Bekanntschaften verboten. Dijamal Kaya lebte nach Regeln, die Rebecca Loepki nicht akzeptieren wollte und konnte. Nach ganz großer Liebe hatten sich die beiden wieder getrennt und wären sich auch nie wieder begegnet, wenn nicht Töchterchen Annetta sie verbinden würde. Annetta war sechzehn Monate alt. Jetzt war das Töchterchen weg, von der Mutter getrennt. Der Verdacht lastete auf dem Vater: Dijamal Kaya hätte Annetta in seine Heimat entführt. Dort, vermutete nicht nur Rebecca, wollte er sie in fremder Kultur aufziehen. Doch Dijamal Kaya wohnte auch jetzt noch in Leipzig und bestritt alles. Bestritt, Annetta an jenem Tage, als Rebecca Loepki ihr Töchterchen vermisste, überhaupt gesehen zu haben. Er bestritt, für diesen Tag einen Besuchstermin mit ihnen vereinbart zu haben. Er nannte Zeugen. Keiner glaubte ihnen. Beweisen konnte ihm die Polizei nichts. Annetta blieb verschwunden. Daran zerbrach die Mutter. Kain konnte es beobachten, denn seit jenem Tage saß Rebecca Loepki jeden Tag hier im Waschsalon, wartete und hoffte. Kain ahnte die Vergeblichkeit dieses Wartens. Er wandte sich zu ihr um. Natürlich hatte Rebecca Loepki in seinem Revier Platz genommen und winkte ihm schüchtern. Kain lächelte nicht.
    »Was darf’s heute denn sein?«
    »Milchkaffee.« Rebecca Loepki bestellte selten mehr als einen Milchkaffee, an dem sie zwei Stunden lang nippte und dann den Preis auf drei Euro rundete. Kain hatte die zehn Cent mehrmals zurückgewiesen. Rebecca Loepki sagte nur: Sie haben’s verdient.
    Isabell hatte die verwaiste Mutter Zebra getauft. Rebecca Loepki trug immer einen gestreiften Pullover. Blau und grau. Manchmal rot und gelb oder braun und grün. Selbst gestrickt, hatte Frederike festgestellt. Total uncool, meinte Isabell, Streifen brächten ihre Fettröllchen erst richtig zur Geltung. Rebecca Loepki war jung und trug Übergrößen. Haare lang und nicht im Zopf gebunden. Sie versteckte ihre Pickel hinter zu viel Paste und lächelte, wenn Kain sie bediente. Du bist ihr Lieblingskellner, manchmal flirtet sie sogar mit dir. Siehst du das nicht? Frederike meinte es gut. Aber ihm war das unangenehm, und so wurde er immer wieder drauf gestoßen: Kellnern war nicht sein Traumjob und würde es niemals werden. Kain musste nach etwas anderem suchen.
    »Hat man die Tochter gefunden?« Isabell hielt ein Glas gegen die Lampe und rieb mit aller Kraft an einem unsichtbaren Fleck.
    »Säße sie dann hier?«, antwortete Kain.
    »Aber worauf wartet sie denn? Der Vater wird ihr das Kind nicht hierher zurückbringen.«
    »Der bringt es überhaupt nicht zurück. Sicher ist Annetta jetzt in Libyen oder sonst wo im Nahen Osten.«
    »Ich würde mit Ausländern nie eine Beziehung anfangen. Da hört man Sachen… und in keiner Disco ist man vor denen sicher.«
    Die Kaffeemaschine brodelte sich ins Aus.
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