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Don Camillo und Peppone

Don Camillo und Peppone

Titel: Don Camillo und Peppone
Autoren: Giovannino Guareschi
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Vater, ich sehe es noch heute, holte sein Gewehr von der Wand, lud es, nahm es dann unter den Arm und folgte uns wortlos, während wir eng um ihn herum gingen und uns nicht mehr ängstigten, weil unser Vater imstande war, einen Hasen auf achtzig Meter Entfernung zu treffen.
    Chico lag verlassen im dunklen Gras und schien in seinem langen hellen Kleid und mit seinen Stirnlocken ein Engelein des lieben Gottes zu sein, dem ein Flügelchen kaputtging und das dann in den Klee fiel.
    In Boscaccio pflegte niemand zu sterben, und als die Leute erfuhren, daß es um Chico schlecht stehe, überfiel sie ein furchtbarer Schrecken. In den Häusern sprach man nur noch flüsternd. Durch das Land hinkte ein gefährlicher Fremder, und nachts wagte niemand ein Fenster aufzumachen, vor Angst, daß er im mondbeschienenen Hof sehen könnte, wie der Tod, in Schwarz gekleidet und mit einer Sense in der Hand, umhergeht.
    Mein Vater ließ drei oder vier berühmte Ärzte mit der Kutsche holen. Und alle betasteten Chico und legten das Ohr an seinen Rücken, um dann meinen Vater anzusehen, ohne ein Wort zu sagen. Chico schlief und fieberte noch immer, und sein Gesicht war weißer als das Bettuch geworden. Meine Mutter, weinte mitten unter uns und wollte nicht mehr essen; mein Vater setzte sich überhaupt nicht mehr nieder und zwirbelte weiter seinen Schnurrhart, ohne irgendwas zu sprechen. Am vierten Tag breiteten die letzten drei Ärzte, die zusammen gekommen waren, die Arme aus und sagten zu meinem Vater:
    «Nur noch der liebe Gott kann Ihr Kind retten.»
    Ich kann mich erinnern, es war ein Vormittag: mein Vater gab uns mit dem Kopf ein Zeichen, und wir folgten ihm in den Hof. Mit einem Pfiff versammelte er die Knechte und Mägde, Insgesamt werden es – Männer, Frauen und Kinder – an die fünfzig gewesen sein. Mein Vater war groß, mager und stark, mit einem langen Schnurrbart, großem Hut, offener kurzer Jacke, engen Hosen und hohen Stiefeln. (In seiner Jugend war mein Vater in Amerika gewesen und kleidete sich daher amerikanisch.) Schrecklich war er, wenn er sich so breitspurig vor einen stellte. Mein Vater stellte sich also breitspurig vor alle seine Angehörigen und sagte:
    «Nur der liebe Gott kann Chico retten. Auf die Knie: wir müssen den lieben Gott bitten, Chico zu retten.»
    Alle knieten nieder und begannen laut zum lieben Gott zu beten. Die Frauen sprachen immer wieder etwas vor, und wir und die Männer antworteten mit Amen. Mein Vater blieb mit verschränkten Armen stehen, unbeweglich wie ein Standbild, bis sieben Uhr abends, und alle beteten, weil sie Angst vor meinem Vater und weil sie Chico lieb hatten.
    Um sieben Uhr abends, als sich die Sonne zum Horizont neigte, kam eine Frau, meinen Vater zu holen. Ich folgte ihm.
    Die drei Ärzte saßen blaß um Chicos Bett. «Es wird immer schlimmer», sagte der Älteste. «Er wird die Nacht nicht überleben.»
    Mein Vater sprach kein Wort, ich spürte aber, wie er in seiner Hand die meine preßte. Wir gingen hinaus. Mein Vater ergriff das Gewehr, lud es scharf, hängte es um, nahm ein großes Bündel und überreichte es mir. «Gehen wir», sagte er.
    Wir schritten über die Felder. Die Sonne hatte sich bereits hinter dem entferntesten Hain versteckt. Wir schwangen uns über eine Gartenmauer und klopften an eine Türe. Der Priester war allein zu Hause und aß gerade beim Lichte einer Öllampe. Mein Vater betrat das Zimmer, ohne den Hut abzunehmen. «Hochwürden», sagte mein Vater, «Chico ist krank, und nur der liebe Gott kann ihn retten. Heute haben sechzig Personen durch zwölf Stunden zum lieben Gott gebetet, Chico geht es aber schlechter, und er wird die heutige Nacht nicht überleben.»
    Der Priester schaute meinen Vater mit großen Augen an. «Hochwürden», fuhr mein Vater fort, «nur du kannst mit dem lieben Gott sprechen und ihm zu verstehen geben, wie die Dinge liegen. Gib ihm zu verstehen, daß ich, wenn Chico nicht wieder gesund wird, alles in die Luft sprenge. In diesem Bündel hier sind fünf Kilo Dynamit. Von der ganzen Kirche wird kein Stein auf dem andern bleiben. Gehen wir!» Der Priester sagte kein Wort: er ging, gefolgt von meinem Vater, betrat die Kirche, kniete vor dem Altar nieder und faltete die Hände. Mein Vater stand mitten in der Kirche, das Gewehr unter dem Arm, mit gespreizten Beinen, wie ein Fels. Auf dem Altar brannte eine einzige Kerze, alles andere lag im Dunkeln. Gegen Mitternacht rief mich mein Vater:
    «Geh und schau, wie es mit Chico steht, und
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