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Domfeuer

Domfeuer

Titel: Domfeuer
Autoren: Dennis Vlaminck
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nahm Paulus den Krug aus der Hand und trank den Rest Gruit in einem Zug. »Ich hätte es mir denken können«, sagte er dann. »Er hat sich keinen Deut gebessert.«
    Sprach’s, warf den leeren Krug hinab auf den Kai vor Barthels Füße, wo er in tausend Scherben zerbrach, und rülpste.
    Paulus schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
    Endlich, Niehl kam in Sicht! Hinter der Flussbiegung tauchte ein Licht auf. Es musste die Treidlerherberge des Fischerdorfs sein. Goswin reckte sich auf seinem alten Kaltblut hoch und versuchte, über die Reiter vor ihm hinwegzusehen. Bald war es geschafft. Er heftete seine Augen auf den in der Ferne leuchtenden gelben Fleck. Es war ein sträflicher Fehler, den Blick nicht auf den Rhein und das Schiff zu richten. Aber Goswin konnte es nicht. Dieses seltsame Ding auf dem Wasser war ihm unheimlich. Lieber starrte er die Sterne an, die am Abendhimmel zu funkeln begannen, oder eben das Dorf am Rheinufer.
    Goswin klammerte sich an seinen Hab, ein schweres, krummes Schlagmesser, wie es alle Treidelknechte mit sich führten, um bei zu starker Strömung das Tau zu kappen, damit ihre Pferde nicht von dem abdriftenden Lastkahn ins Wasser gerissen wurden. Noch nie in seinem Leben hatte er ein solches Schiff gesehen. Es war für das Meer gebaut und überhaupt nicht dafür geeignet, einen Fluss hinaufgetreidelt zu werden. Wohl an der Rheinmündung hatten Zimmerleute es erst umrüsten müssen und mit einem Block am Bug versehen, über den die Treidelleinen geführt werden konnten. Doch das war es nicht, was Goswin Unbehagen bereitete. Es war die Art, wie das Schiff gezimmert war. Vorn und achtern waren Plattformen, um die herum hüfthohe Brüstungen liefen. Sie wirkten wie die Wehrplatten eines Turms samt Zinnenkranz, hinter denen sich Bogen- und Armbrustschützen aufstellen konnten. Das ganze Schiff sah aus wie eine Festung. Es war für den Krieg gebaut.
    Und es war so groß, dass sechzehn Pferde es stromaufwärts ziehen mussten. Auf fast jedem saß ein Knecht mit einer Fackel. Nie zuvor hatte Goswin einen solch riesigen Zug gesehen. Selbst um die schwersten Niederländer nach Köln zu bringen, waren höchstens acht Pferde nötig, und das war ein so seltenes Ereignis wie eine fette Mahlzeit mit Ochsenbraten auf Goswins Tisch. Und nie zuvor hatte er erlebt, dass ein Treidelzug bei sinkender Nacht noch unterwegs war. Ihre Arbeit war auch bei Tag schon gefährlich genug.
    Es war ein gespenstischer Zug. Aber ein gut bezahlter. Das war der einzige Grund, warum Goswin nicht schon längst nach Neuss zurückgekehrt war. Noch nie war er so gut entlohnt worden. So gut, dass er seine Frau und seine vier Kinder ohne Sorgen über den nächsten Winter bringen konnte. Das war wichtig für einen Treidler, der nur von Frühjahr bis Herbst genug Aufträge und damit Geld hatte, um alle Mäuler in seinem Haus zu stopfen.
    Doch nun fürchtete Goswin, er habe sich dem Teufel verkauft. Denn noch etwas flößte ihm Furcht ein, mehr als die Bauart des Schiffes. Niemand von der gesamten Besatzung dieser schwimmenden Burg ließ sich blicken. Nur ein Mann stand seit Stunden auf dem Vorderkastell, unbeweglich, wie eine steinerne Statue. Dieser Kerl hatte etwas Teuflisches. Der Hitze zum Trotz trug er einen langen schwarzen Mantel, der den Körper vom Hals bis zu den Knöcheln gänzlich verhüllte, aber darunter ließ sich unschwer sein gewaltiger Leib erkennen. Der Mann musste aus einem Berg von Muskeln bestehen. Aus den Ärmeln lugten Pranken wie die eines Bären, und auf dem halslosen Rumpf saß ein Schädel wie der eines Stiers. Nur die Hörner fehlten, doch hätten sie dem Mann gut zu Gesicht gestanden. Goswin hätte schwören können, dass die Augen des Unbekannten in der Dämmerung rot leuchteten. Aber er wagte nicht einmal mehr einen flüchtigen Blick, um sich davon zu überzeugen.
    Wo war nur der Rest der Besatzung? Es war kein Steuermann, kein Bootsmann, kein Rudergänger, ja nicht einmal ein Schiffsjunge zu sehen. Verflucht, jemand musste doch am Ruder stehen, damit das Schiff durch den Zug der Pferde nicht zu nahe ans Ufer trieb! Ach, zum Henker, es sollte ihm doch völlig gleich sein. Sie waren bald in Niehl, würden den Rest ihres Lohnes einstreichen und die Nacht in der letzten Treidlerherberge vor Köln verbringen. Morgen dann wollte Goswin zurückreiten – ein anderer durfte gern seinen Platz einnehmen und das verfluchte Schiff nach Köln ziehen, was auch immer dieser Bocksfüßige auf dem Bugkastell dort
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