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Domfeuer

Domfeuer

Titel: Domfeuer
Autoren: Dennis Vlaminck
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Problem. Es war schon so dämmrig, dass die Hafenmeister entlang des Uferdamms vor der Stadtmauer Fackeln entzünden ließen. Kaum zwei Wochen erst, seit dem Osterfest, war der Rhein wieder eisfrei, und die Kaufleute holten nach, was ihnen seit Monaten entgangen war. Die Schiffsleute und Hafenknechte mussten bis unmittelbar vor Sonnenuntergang schleppen und schwitzen.
    Und Paulus musste sich sputen. Er wollte zwar nicht zu seinem »Liebchen«, aber das Treffen, zu dem er unterwegs war, würde nicht minder aufregend werden.
    Er schlängelte sich durch Fuhrwerke, hüpfte über Taue und stolperte beinahe über eine Kiste, die jemand im Trubel vergessen hatte. Fluchend verpasste er ihr einen Tritt und drängte sich schon wieder an Männern vorbei, die Tonnen, Bottiche und Zuber trugen, Ladung löschten oder Frachträume füllten.
    Es waren ungewohnt viele Menschen im Hafen. Fast jedes Schiff, das in Köln anlegte, brachte auch lebende Fracht mit – Fremde, die den Rhein und seine Schiffer nutzten, um zeitig in der Stadt zu sein. Sie alle wollten einem einzigartigen Schauspiel beiwohnen. Übermorgen schon würden die Werkmeister einen Teil des alten Doms niederlegen. Und die Menschen kamen, um den Dom fallen zu sehen, der an Größe und Pracht in der Welt seinesgleichen suchte und den Kölnern doch zu klein geworden war.
    Paulus nahm die Gugel vom Kopf, weil die Mütze ihm bei seinem strammen Marsch ins Gesicht gerutscht war, und eilte weiter flussaufwärts, links von ihm der Rhein, auf dem die Frachtschiffe lagen, rechts die Stadtmauer – und dazwischen das Gewimmel auf dem Uferdamm, der zu seiner neuen Heimat geworden war.
    Eine Heimat für eine Ameise, denn das war er. Herrgott, er war zur Ameise geworden!
    Er tat fast nichts anderes mehr als schuften und schlafen. Und das alles nur für die Liebe? Was zum Henker machte er da nur? Seine Brüder lachten ihn aus. Zu Weihnachten noch war er ein Gammler und ein Bettler gewesen. Bis es ihm widerfahren war.
    Bis  sie  ihm widerfahren war.
    Ihretwegen hatte er seinem früheren Leben abgeschworen. Sein Dasein als Bettler war nicht gottgewollt gewesen, er hatte es einst selbst gewählt, und ebenso selbstbestimmt hatte er es wieder aufgegeben. Er hätte seine Seele dem Teufel verkauft, nur um ein ehrbares Leben führen zu dürfen. Ein Leben, in das er ein Weib aufnehmen konnte. Vorerst musste es genügen, dass er sich jeden Morgen im Hafen bei den Tagelöhnern einfand und auf Arbeit hoffte. Von dem Geld konnte er sich zwar noch keine Wohnung, geschweige denn ein Haus leisten, aber es reichte, um einen Schlafplatz in einer der Lagerhallen am Kai zu bezahlen. Wenn er fleißig war und ein paar Münzen beiseitelegte, konnte er sich vielleicht bald schon ein Zimmer in der Stadt nehmen. Und Angela zur Frau. Gewiss, ohne große Hochzeit, denn wer konnte sich das schon erlauben? Aber eine Friedelehe musste möglich sein. Mit einer kleinen Feier und einer kleinen Festgesellschaft. Ihre und seine Familie säßen am Tisch und prosteten sich zu.
    Seine Familie. Die Brüder und seine Mutter.
    Paulus’ Gedanken kehrten zurück zum Grund seiner abendlichen Verabredung, und schon trugen ihn seine Füße schneller. Eine solche Feier würde vielleicht nur ein frommer Wunsch bleiben, denn so einig seine Brüder im Spott über Paulus’ Arbeitsantrieb sein mochten, so waren sie sonst doch wie Feuer und Wasser. Überhaupt verband die drei Brüder nur eine Gemeinsamkeit – sie hatten dieselbe Mutter. Irmel verkaufte seit jeher und auch im fortgeschrittenen Alter noch ihren Körper in der Schwalbengasse, um sich täglich eine karge Mahlzeit zwischen die zahnlosen Kiefer schieben zu können. Da sie keinen Mann an ihrer Seite hatte, konnten die drei Brüder getrost davon ausgehen, allesamt je einen eigenen Vater zu haben.
    Barthel, der Mittlere, war zwar hässlich, aber doch ein Glückspilz, denn wenigstens er wusste um seinen Erzeuger. Nun war es als Sohn einer Hure sicher nicht grundsätzlich ein Segen, seinen Vater zu kennen. In diesem Fall aber erwies sich der Umstand, dass Barthel Glubschaugen, Hakennase, einen unnatürlich langen Hals und schon in jungen Jahren ein eher spärliches Haupthaar besaß, als förderlich für sein gesellschaftliches Fortkommen. Denn die Abstammung von einem der bekanntesten Kölner Patrizier ließ sich aufgrund seines geierhaften Aussehens nicht leugnen.
    Barthel war ohne Zweifel ein Gir. Ein echter Geier eben.
    Der Tuchhändler Hartmann Gir hatte den Bastard
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