Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)

Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)

Titel: Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)
Autoren: Lesley Pearse
Vom Netzwerk:
als sie im Park spazieren gingen, war wieder hinter düsteren Wolken verschwunden, und als sie an dem Mann vorbeikamen, der an der Ecke Streichhölzer verkaufte, hatte er ihnen nachgerufen, dass es bald zu schneien anfangen würde. So sehr es Belle auch widerstrebte, das Haus zu betreten, es war zu kalt, um noch länger draußen zu bleiben.
    Sie wusste sehr wenig über die Welt außerhalb von Seven Dials. Sie war in demselben Haus geboren worden, in dem sie immer noch lebte. Es hieß, ihre Mutter hätte sie im oberen Stockwerk allein zur Welt gebracht, das Baby in eine alte Decke gewickelt, in eine Kommodenschublade gelegt und sich dann wieder zu den anderen Mädchen im Salon gesellt, als wäre nichts geschehen.
    Belle hatte schon sehr früh im Leben gelernt, dass sie praktisch unsichtbar sein musste. Nachdem sie zu groß geworden war, um in der Schublade zu schlafen, bekam sie unten im Souterrain ein Zimmer, und sie durfte nie, wirklich niemals, nach fünf Uhr nachmittags die Treppe hinaufgehen oder ihre Mutter fragen, was dort oben vorging.
    Sie besuchte von ihrem sechsten bis zum zehnten Lebensjahr eine kleine Schule am Soho Square, wo sie Lesen, Schreiben und Rechnen lernte, aber damit war nach einer Auseinandersetzung zwischen ihrer Mutter und der Lehrerin abrupt Schluss. Danach musste sie auf eine wesentlich größere Schule gehen, die sie hasste, und sie war froh, als sie ihre Schullaufbahn mit vierzehn beenden konnte. Aber seit damals waren ihre Tage lang und langweilig. Doch als sie das einmal laut aussprach, war ihre Mutter sofort auf sie losgegangen und hatte sie gefragt, ob es ihr besser gefallen würde, als Küchenmagd zu arbeiten oder auf der Straße Blumen zu verkaufen, wie es so viele Mädchen in ihrem Alter notgedrungen taten. Belle hätte weder das eine noch das andere gern getan; das Mädchen, das ein Stück die Straße hinunter Blumen verkaufte, war so dünn und zerlumpt, dass man meinte, ein kräftiger Windstoß könne sie umwehen.
    Annie schätzte es auch nicht, dass Belle »sich auf der Straße herumtrieb«, wie sie es nannte. Belle war sich nicht sicher, ob ihre Mutter etwas dagegen hatte, weil sie befürchtete, ihre Tochter könnte in Schwierigkeiten geraten, oder weil sie nicht wollte, dass Belle Klatsch über Annie und ihren Laden hörte.
    In einem ihrer seltenen sentimentalen und mitteilsamen Momente hatte Annie Belle erzählt, dass sie der Liebling der »Gräfin« gewesen war, die das Haus zu der Zeit geführt hatte, als Belle zur Welt kam. Hätte diese Frau nicht eine Vorliebe für Annie gehabt, wäre diese auf die Straße gesetzt worden und im Armenhaus gelandet. Annie erzählte, dass die Gräfin ihren Spitznamen ihrem vornehmen Auftreten und der Tatsache verdankte, dass sie in ihrer Jugend eine echte Schönheit gewesen war, mit vielen Bewunderern aus der guten Gesellschaft. Einer von ihnen   – angeblich ein Mitglied des Königshauses   – hatte sie in dem Haus in Jake’s Court untergebracht.
    Als Belle noch klein war, wurde die Gräfin sehr krank, und Anniepflegte sie über ein Jahr lang. Bevor die Frau starb, setzte sie ein Testament auf und hinterließ alles, was sie besaß, Annie.
    Seit damals führte Annie das Haus. Sie stellte Mädchen ein und feuerte sie wieder, trat als Gastgeberin auf und kümmerte sich um die Finanzen. In Seven Dials hieß es, dass sie zwar stahlhart sei, aber ein gutes Haus führte.
    Belle kannte das Wort »Bordell« seit ihrer Kindheit, aber über die genaue Bedeutung war sie sich nicht im Klaren. Sie wusste nur, dass es etwas war, worüber man in der Schule nicht reden durfte. Annies Laden wurde auch »Hurenhaus« genannt. Belle hatte ihre Mutter vor Jahren einmal gefragt, was das bedeutete, und hatte zur Antwort bekommen, dass es ein Ort sei, wo sich Gentlemen amüsierten. Allein die schroffe Art, wie Annie antwortete, hatte Belle klargemacht, dass sie lieber nicht weiter nachfragen sollte.
    In Seven Dials und Umgebung wurde praktisch jede Frau, die sich aufreizend kleidete, ein bisschen leichtfertig oder keck auftrat und gern ein Gläschen trank und tanzte, als Hure bezeichnet. Es war natürlich eine abfällige Bezeichnung, aber so gebräuchlich, dass beinahe etwas Liebevolles darin mitschwang, als würde jemand ein Mädchen »Hexe« oder »Luder« nennen. Deshalb hatte Belle bis vor einigen Monaten geglaubt, das Geschäft ihrer Mutter wären einfach nächtliche Partys, auf der Gentlemen kecke, fröhliche Mädchen trafen, um mit ihnen zu trinken und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher