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Diverses - Geschichten

Diverses - Geschichten

Titel: Diverses - Geschichten
Autoren: Sigrid Lenz
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seine Existenz in den Augen der Welt, aller Welten erscheinen musste, da begann er zu bereuen.
    Die Reue überfiel ihn grausam und er floh vor ihr, indem er weiter mordete.
    Doch als das Töten seinen Reiz verlor, als er seine eigene Hülle kaum noch ertragen konnte, wie sie vor Blut triefend und mit Schuld beladen durch eine Nacht schlich, die mit ihren neuartigen Lichtern und Geräuschen keinen Platz mehr für ihn hatte, da erkannte er die letzte Wahrheit.
    Seinen Ausweg, den einzigen Weg, der sich ihm bot.
    Konnte er nicht vernichtet werden, so war er gezwungen, sich selbst zu vernichten. So weit zu vernichten, wie es ihm möglich war. Seinem Gram zu gehorchen und die Strafe anzunehmen, von der er immer gewusst hatte, dass sie auf ihn lauerte.
    Er wanderte lange, bis er den richtigen Ort fand, bis er durch die Höhlen schritt, die einsam und leer auf ihn gewartet hatten. Und bis er damit begann, sich sein eigenes Grab zu schaufeln, sich in die Tiefe zu wühlen. Und immer trug er das Gefühl in sich, als beobachte ihn jemand. Eine Macht, größer als er. Doch er konnte nicht herausfinden, ob sie ihm wohlwollend oder verärgert zusah. Und so schloss er sie aus, konzentrierte sich auf die Erde, den Widerstand, der sich nur allzu leicht für ihn durchbrechen ließ. Wie durch Butter glitt er durch die Masse, rutschte tiefer, bis er nicht mehr wusste, wo und wann er begonnen hatte.
    Erst in diesem Augenblick schloss er seine Augen und wurde still, still für eine Ewigkeit.
    Sein Körper fühlte sich starr und klamm an, tot und erloschen. Im Widerspruch zu der Kälte, die ihn beherrschte, stand nur noch Geist, seine Gedanken, die nicht aufhören konnten zu wandern.
    Was hätte er darum gegeben, auch seinen Geist sterben zu sehen, die endlose Folge sich aneinanderreihender Worte, die durch seine Nervenbahnen taumelten zu unterbrechen, ein für allemal zum Schweigen zu bringen?
    Doch es sollte nicht sein. Der einzige Weg, der ihm blieb, lag in einem Rückzug, dem ultimativen Rückzug, dem Selbstbegräbnis. Es sollte den Hunger stillen. Den Hunger nach dem, was er einst Leben genannt hatte. Nach der Sonne, dem Licht, der Leidenschaft. Einen Hunger, den er nur noch stillen konnte, indem er die Letzte aller unverzeihlichen Sünden beging.
    Und so lag er nun begraben, klaftertief unter schwerer, dunkler Erde. Stumm und reglos, der lebende Tote, der er war.
    Der Albtraum sollte niemals enden. So sah sein Plan aus.
    Temotas ahnte nicht, zu keiner Zeit, dass sein so sorgfältig und entschlossen gefasstes Vorhaben auf Widerstände traf, die er nicht voraussehen konnte. So tief er sich auch in den Erdboden gewühlt hatte, tief genug, um von der Wärme des Erdinneren verbrannt zu werden, es reichte nicht aus. So unerträglich auch das Gewicht der zahllosen Gesteins- und Bodenschichten auf seinem Körper lastete, ihn zusammenpresste und verformte, es war nie genug.
    Er dachte, er habe sich an die Last gewöhnt, an die Hitze, an den Druck. Doch er wusste nichts von den Veränderungen, die sich um ihn herum, mit ihm in ihrer Mitte, abspielten. Die Erde bewegte sich, sie wanderte. Die Elemente drifteten auseinander und wieder zusammen. Sie zogen ihn mit sich, schoben und zerrten. Doch im endlosen Fluss der Zeit und gefangen in seiner Schuld, spürte er davon nichts. Er vegetierte dahin, besessen nur von dem einen, dem unerfüllbaren Wunsch nach dem Ende.
    So fühlte er nicht, dass sein Körper über die Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte in die Höhe trieb. Er spürte nicht, dass er der Oberfläche näher kam. Die neue Kälte, die in seine Glieder kroch, akzeptierte Temotas als willkommene Qual, als weitere Strafe für seine Sünden. Doch die Langeweile wuchs sich zu einem anderen, einem weitaus größeren Problem aus. Die Langeweile und die Geräusche, die von Zeit zu Zeit an seine Ohren drangen. An jene Ohren, die verstopft von Erde und Sand, doch in ihrer übermenschlichen Fähigkeit begannen, Laute wahrzunehmen, auf die er sich, obwohl eingehüllt in den Nebel seines eigenen Leids, keinen Reim machen konnte.
    Die Jahre vergingen, und sie wurden schwieriger zu ertragen mit jeder Minute, mit jeder Sekunde. Doch Temotas erkannte die Versuchung, und er widerstand ihr. Wie er es dereinst geschworen hatte.
    Er existierte nicht, durfte nicht existieren. Sein Wesen war verloschen und das, was davon übrig war, sollte von niemandes Auge je wieder erblickt werden.
    Augen waren es auch nicht, die ihn erblickten. Anderes, seltsames Leben bemerkte
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