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Diebeswelt Sonderband: Der dunkle Held

Diebeswelt Sonderband: Der dunkle Held

Titel: Diebeswelt Sonderband: Der dunkle Held
Autoren: Andrew Offutt
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ritten sie schweigend
weiter. Die Sonne stand tief an einem Himmel, der immer röter
aber nicht kühler wurde. Die Pferde trotteten dahin, und Hanse
war tief in seine Gedanken versunken. Mignureal konnte kein Wort
hervorbringen, und sie versuchte sich nach Kräften zu
beherrschen, damit er ihr Schluchzen nicht hören konnte.
    »Das ist meine erste Erinnerung, Mignue. Alleine zu sein und
Hunger zu haben, großen Hunger, und nur eine Feige zu stehlen,
eine kleine Feige. Dann so gejagt zu werden. Ich hatte noch nie so
eine furchtbare Angst gehabt, so eine entsetzliche Angst. Und Essen
zu finden und dann diese Frau. Wegen der vielen Furchen und Falten in
ihrem Gesicht sah sie häßlich und bösartig aus –
wahrscheinlich waren es alte Lachfältchen –, aber sie war
der netteste Mensch, dem ich je begegnet war. Bis zu diesem
Zeitpunkt.« Er schüttelte den Kopf, als er sich an die
Ironie des Schicksals erinnerte.
    »Und mein Festmahl, Mignue, weißt du, woraus mein
Festmahl in dieser kleinen, verhunzten gelben Schale mit dem dunklen
Streifen bestand?«
    Er stieß ein schnaubendes Lachen aus, das unecht klang.
»Diese Schüssel enthielt Speiseabfälle! Die Reste
einer Mahlzeit, verstehst du? Ein paar Schalen, das Endstück
einer Gurke, ein paar Krumen und auch ein kleines Stückchen
Brot. Ein richtiges kleines Stückchen Brot, das ein wenig nach
Fleisch roch. Ich hatte ein wenig Hundefutter aus einem Futternapf
heruntergeschlungen, das war mein Festmahl!«
    Am ganzen Körper bebend tat Mignureal so, als würde sie
sich auf der Hanse abgewandten Seite zu ihrem Fuß hinabbeugen,
damit sie die Tränen fortwischen konnte. Langsam streckte sie
ihren Körper, und nun tat sie so, als wollte sie Injas Hals
unter der Mähne streicheln, wo er am stärksten
schwitzte.
    Nachdem sie wieder eine Zeitlang schweigend dahingetrottet waren,
sagte Hanse: »Der andere der nettesten Menschen, die ich jemals
getroffen habe, war das genaue Gegenteil. Ein Kopf wie eine Melone,
ein Gesicht wie ein Mond, ein Bauch wie ein Faß – da war
einfach alles groß. Und ihr Gesicht war so liebenswürdig, von morgens bis abends, ihr ganzes Leben
lang.«
    »Meine… meine Mutter.«
    Er nickte. »Nun weißt du, wieviel ich auf das Aussehen
eines Menschen gebe, Mignue. Ich habe sehr früh gelernt, wie
wichtig das Aussehen eines Menschen ist! Klauer war… Klauer war
häßlich, und ich habe eine Nase im Gesicht wie ein
hungriger Habicht. Das hat mir mal jemand gesagt; ich hatte gedacht,
sie sähe aus wie ein Bussardschnabel. Und warum, bei allen
Höllen, reite ich nun alleine mit einem unglaublich schönen
Mädchen durch die Wüste? Das ist ein Geheimnis und ein
Wunder.«
    Endlich sah er sie an und lächelte, und trotz all ihrer
Vorsätze und der Kraft, die sie aufzubringen versucht hatte,
blieb Mignureal dem uralten Klischee treu und brach in Tränen
aus.
    »O nein!« stieß Hanse entsetzt hervor. Sie
weiß, daß ihre Tränen für mich dasselbe sind,
als würde mir jemand eine Nadel in die Gedärme
stoßen, aber es ist nicht ihre Schuld. Warum mußte ich
auch noch Mondblume erwähnen?
     
    Es war merkwürdig, wie plötzlich der Sonnenuntergang in
der Wüste kam, besonders für zwei Menschen, die ihr ganzes
Leben in einer Küstenstadt verbracht hatten. Der Himmel nahm
eine immer intensivere orangene Färbung an, und dann wurde die
Sonne, die normalerweise ein weißes Gleißen war, zu einem
riesigen roten Ball, der sich auf den Rand der Wüste kauerte.
Blutrot verschwand sie dort eilig hinter dem Horizont. Genauso
schnell brach die mit funkelnden Sternen durchsetzte Dunkelheit
über die endlosen Sandflächen herein und färbte sie
purpurrot.
    So wie Hanse ächzte und knurrte und sich beklagte, als er vom
Pferd stieg, hätte er ein alter Mann sein können.
    »Ah!« stöhnte er wieder, als er sich den ersten
Schritt von dem Schwarzen entfernte. »Ah! Ihr Götter meiner
Vorfahren, meine Schenkel! Wie das Reiten meine Schenkel
martert!«
    Mignureal lächelte. »Ich weiß, meinen Schenkeln
geht es genauso. Aber es sind nicht deine Schenkel, die du dir
reibst, Liebling!«
    »Das bleibt dir erspart! Hmpf. Die Götter haben euch
Frauen besser ausgestattet, um in einem Sattel sitzen zu
können«, knurrte er. »Ihr seid wie dafür
geschaffen. Erstens könnt ihr eure Schenkel weiter spreizen. Und
außerdem seid ihr Frauen besser gepolstert… ich meine,
auch eure Hintern unterscheiden sich von unseren.«
    Ihr Lächeln wurde breiter. »Das habe ich ja auch
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