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Diebeswelt Sonderband: Der dunkle Held

Diebeswelt Sonderband: Der dunkle Held

Titel: Diebeswelt Sonderband: Der dunkle Held
Autoren: Andrew Offutt
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ihre Augen und ihr
Gesicht frei von Tränen waren, sah sie zu ihm hinüber.
    »Wer hat dich… Ich verstehe nicht. Was hat das damit zu
tun, wie alt du bist?«
    Er warf ihr einen finsteren Blick zu, aber als er bemerkte,
daß sie ihn ansah, wich sein verbitterter Gesichtsausdruck
einem kleinen Lächeln, das beinahe entschuldigend wirkte. Das
war auf keinen Fall der Hanse, den man Nachtschatten nannte.
    »Weißt du, das ist das erste, woran ich mich erinnern
kann. Ich war fünf oder drei oder vier oder wie alt auch immer,
und seit dieser Zeit habe ich eine ganze Menge nachgedacht und die
Jahre gezählt. Es sind siebzehn geworden. Ich war klein, damals.
Sehr klein, meine ich, nur ein Knabe, ein Kind. Ich hatte Hunger. Ich
war ziemlich lange hungrig gewesen. Es erschien mir wie eine
Ewigkeit… Was bedeutet für ein Kind ›eine
Ewigkeit‹? Mein Magen war nicht ein Loch in meinem Bauch, er war
ein Knoten, so hart, daß es weh tat. Ich war auf dem Markt, und
alle Leute um mich herum schienen elf Fuß groß zu
sein.«
    Hanse machte eine unbestimmte Geste, als ob ihn die Erinnerung
schmerzte. »Ich lief alleine zwischen den Marktbuden und
Verkaufsständen und all den Leuten herum, die mich
überragten, und alle waren ununterbrochen in Bewegung. Für
mich schienen es Millionen Beine zu sein, ein ganzer Wald aus Beinen.
Nur Beine, keine Augen, die mich sehen konnten. Niemand schien mich
zu sehen. Und wenn mich doch jemand sah, schenkte er mir keine
Beachtung. Nur ein kleiner, unscheinbarer Rotzlümmel, der
umherstrolchte. Wahrscheinlich dachten die Leute, ich würde nach
meiner Mutter suchen. Hmp! Ich suchte irgend jemanden! Irgend
jemanden, der mir etwas zu essen gab. Ein oder zwei Worte und eine
freundliche Berührung wären auch schön gewesen.«
Seine Stimme veränderte sich, sie klang weicher, wurde
gedankenverloren und kindlich, und er wandte den Blick von ihr
ab.
    Mignureal biß sich auf die Lippen, bis es schmerzte.
    »Wie dem auch sei«, fuhr Hanse fort, »ich
gewöhnte mich daran, daß mich niemand auch nur bemerkte,
also trat ich ganz dicht an diese eine Marktbude heran und hob ganz
langsam meine Hand. Ich zitterte am ganzen Körper und hielt die
Luft an. Und dann berührte ich mit den Fingern eine Feige und
schnappte sie. Sie sah riesig und gut aus, und sie fühlte sich
riesig und fleischig in meiner Hand an und… wirklich gut. Und
dann mußte ich vor dem Monster wegrennen.«
    Mignureal schluckte mühsam und blinzelte heftig und brachte
hervor: »Das… Monster…«
    »Oh, es war natürlich nur ein Mann. Heute weiß ich
das. Aber damals wußte ich es nicht! Damals war es ein Monster,
ungefähr neunzehn Fuß groß, und es jagte mich, und
ich dachte, es würde mich fressen, weil ich eine Feige von
seinem Tisch genommen hatte. Nur glaube ich, daß es nicht
einmal seine Marktbude oder sein Tisch gewesen ist.«
    Erneut schluckte Mignureal mühsam, und wieder fühlte sie
ihre Augen feucht werden.
    Hanse starrte geradeaus auf nichts Besonderes, doch diesmal war es
anders; sie fühlte, daß er auch dann nichts gesehen
hätte, wenn da etwas gewesen wäre, das er hätte
anstarren können. Nicht in diesem Augenblick.
    »Ich kann mich an alles ganz genau erinnern. Willst du
wissen, was er anhatte?«
    »Hanse…« Ihre Stimme war ganz schwach, sie
hörte sie zittern, aber anscheinend nahm Hanse es nicht wahr.
Hanse war gar nicht mehr hier, weder an diesem Ort noch in dieser
Zeit.
    »Unter einer großen roten Nase trug er einen
großen schwarzen Bart, und seine riesigen Füße
steckten in einer Art gelben Sandalen… Es war später
Frühling oder früher Sommer, da bin ich sicher, denn ich
hatte nicht viel an, aber mir war nicht kalt, und außerdem gab
es Früchte auf dem Markt. Er hatte große, haarige,
lederartige Beine, die aus einer Tunika von der Farbe eines gekochten
Kürbisses herausragten. Und seine Hände waren so groß
wie Schinken. Riesige, behaarte, schinkengroße Hände, die
mit Fingern wie Gurken nach mir griffen. Ich rannte und prallte gegen
die Beine der Leute, wurde wieder weggeschleudert und rannte
blindlings in die Richtung, in die ich gerade blickte.
    Er folgte mir weiter und schrie. Eine Feige! Nur eine Feige, das
war alles.
    Jedenfalls stieß ich gegen die Kante eines anderen Tisches,
der einem anderen Verkäufer gehörte, und dabei wurde mir
die Feige aus der Hand geschleudert. Ich habe sie nicht einmal
bekommen, und er wollte sie auch gar nicht! Wahrscheinlich wollte er
nicht einmal mich erwischen!
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