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Diebeswelt Sonderband: Der dunkle Held

Diebeswelt Sonderband: Der dunkle Held

Titel: Diebeswelt Sonderband: Der dunkle Held
Autoren: Andrew Offutt
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sich ausgerechnet diesen
Moment aus, um sein grauenhaft ohrenbetäubendes Geschrei
auszustoßen. Eine Serie quietschender, eingesogener
Geräusche die wie »iiihhh« klangen und jeweils von
einem tief ausgeatmeten »aaahhh« gefolgt wurden. Die
übelsten und dämlichsten Laute, die Hanse jemals
gehört hatte oder sich vorstellen konnte. Dämlicher
Onagerarsch!
    »Halt’s Maul, Blödarsch.«
    »Was ist los, Schätzchen, hast du Durst?«
    Hanse warf Mignureal einen finsteren Blick zu. Im gleichen Moment
sah sie ihn an, das schweißüberströmte Gesicht unter
der schützenden Kapuze halb verborgen, und Hanse versuchte,
einen freundlicheren, nachsichtigen Gesichtsausdruck aufzusetzen. Er
kannte sie eigentlich kaum, obwohl sie ihn liebte und er zu dem
Entschluß gekommen war, daß er sie ebenfalls liebte. Er
hatte nie richtig erkannt, wie außerordentlich gutherzig und
wie unermüdlich nett Mignue war.
    Ich habe genug davon, dachte er, und dann wurde er
schrecklich nervös und besorgt und dachte ganz schnell: Nein,
ich habe nicht genug!
    Eins der Pferde war ein Fuchs, es hatte die rötlichbraune
Farbe einer Walnuß. Das andere war schwarz, eins seiner Beine
war unten weiß, als trüge es einen weißen
Halbstiefel. Seine lange Stirn wurde von einer silbergrauen Blesse
verziert.
    »Wie heißt er?« Der Mann, von dem Hanse das Pferd
in Freistatt gekauft hatte, hatte die Achseln gezuckt.
»Schwarzer«, hatte er gesagt, und Hanse hatte gedacht: Oh, wie passend. Ich hätte selbst darauf kommen müssen. Zumindest hatte er so etwas Ähnliches gedacht und das Tier
daraufhin Schwarzer genannt.
    Oh, wie langweilig und einfallslos, hatte Mignureal gedacht und
sich sofort damit beschäftigt, sich interessantere Namen
für das hübsche Tier auszudenken. Schon bald hatte sie
ihrem Pferd – das Tempus ihnen zusammen mit den weißen,
mit Kapuzen versehenen Gewändern geschenkt hatte – den
Namen Inja gegeben, der aus der uralten Sprache der
S’danzo stammte. Das Wort bedeutete geschwind laufender Hase. Es war ein guter Name, fand Mignureal, obwohl sie nicht
wußte, ob Inja wirklich geschwind rennen konnte. Sie wollte es
auch eigentlich gar nicht herausfinden, aber sie war sich sicher,
daß sie es herausfinden würde. Wenn man mit Hanse, den man
Nachtschatten nannte, unterwegs war, passierten alle möglichen
Dinge. Einige waren wild und anstrengend. Dazu gehörte,
daß man irgendwann davonlaufen mußte.
    Und obwohl sie sich auf schweißnassen Pferden
dahinschleppten, rannten sie eigentlich gerade davon. Sie rannten aus
Freistatt fort, wo sie zu Hause waren – zu Hause gewesen
waren.
    Das erinnerte Mignureal an ihre Eltern, an ihren verwundeten Vater
und ihre ermordete Mutter, und ihre Augen wurden wieder feucht. Sie
hielt ihren Blick starr geradeaus gerichtet, damit Hanse es nicht
sehen konnte. Sie wußte, daß ihre Tränen ihn
schmerzten wie eine Nadel in den Eingeweiden. Sie kämpfte, um
sie zurückzuhalten. Als es ihr nicht gelang, versuchte sie, sie
wenigstens vor ihm zu verbergen, vor ihrem Mann.
    Sie wußte, daß auch ihr Geliebter Tränen
über den Tod ihrer Mutter Mondblume vergossen hatte – und
dann war er wie ein Wilder auf die Mörder losgegangen. Das hatte
dazu geführt, daß ihn kurz darauf das Gefühl befallen
hatte, die entlegene Stadt hinter sich lassen zu müssen, in der
sie beide geboren waren und in der sie ihr ganzes Leben zugebracht
hatten. Mondblume war für Hanse mehr als jeder andere Mensch so
etwas wie eine Mutter gewesen, auch wenn er es nie zugegeben
hätte. Er hatte sogar stets so getan, als würde er mit der
mächtigen, übergewichtigen Frau und vielfachen Mutter
flirten.
    Mondblume war eine S’danzo gewesen und hatte die Gabe des
Zweiten Gesichts besessen, die Fähigkeit, in die Zukunft zu
sehen. Erst kürzlich war diese Gabe auch in Mignureal erwacht.
Doch sie war bisher nur in Erscheinung getreten, wenn es um Gefahren
ging, die Hanses unmittelbare Zukunft betrafen, der sich seit jeher
in gefährliche Situationen begab und in dem Mignureal einen
romantischen und strahlenden Mann von Welt gesehen hatte, seit sie
zwölf Jahre alt war und zu erblühen begonnen hatte. Er war
damals – wie alt war er gewesen? Sechzehn? Mignureal wußte
es nicht.
    Sie liebte ihn. Den Warnungen ihrer Mutter zum Trotz, die stets
versucht hatte zu verhindern, daß die beiden alleine beisammen
waren, liebte Mignureal ihn. Natürlich hatte Mondblume das
gewußt, und sie hatte auch gewußt, daß ihre Tochter
gegen ihre Gefühle
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