Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Titel: Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)
Autoren: Justin Cronin
Vom Netzwerk:
war.
    Sie kam zu einem Schuppen. Ein pockennarbiges, durchlöchertes Gebäude, halb im Sand vergraben, mit einem schrägen Blechdach.
    Sie… fühlte etwas.
    Seltsam. Das hatte sie noch nicht erlebt. Diese Fähigkeit hatte das Virus ihr nicht gegeben; die hatte nur Amy. Alicia war das Yin zu Amys Yang, ausgestattet mit der körperlichen Kraft und Schnelligkeit der Virals, aber ohne Kontakt zu dem unsichtbaren Netz, das sie miteinander verband, Gedanke an Gedanke.
    Und doch– war es nicht so? Dass sie etwas fühlte? Dass sie sie fühlte? Ein Kribbeln an der Schädelbasis, ein leises Rascheln im Kopf, kaum hörbar als Worte:
    Wer bin ich? Wer bin ich wer bin ich wer bin ich wer bin ich …?
    Es waren drei. Sie alle waren Frauen gewesen früher. Und mehr noch: Alicia spürte– wie war das möglich?–, dass in jeder von ihnen ein einzelner Kern der Erinnerung lag. Eine Hand, die ein Fenster schloss, und das Rauschen von Regen. Ein bunter Vogel, der in einem Käfig sang. Der Blick durch eine Tür in ein dunkles Zimmer und auf zwei kleine Kinder, Junge und Mädchen, die in ihren Betten schliefen. Alicia empfing diese Visionen, als wären es ihre eigenen. Bilder und Geräusche und Gerüche und Gefühle– eine Mélange aus intensiven Wahrnehmungen wie drei winzige Feuer, die in ihr loderten. Kurz war sie davon gefangen und stand in stummer Ehrfurcht vor diesen Erinnerungen an eine verlorene Welt. An die Welt der Zeit Davor.
    Aber noch etwas. Jede dieser Erinnerungen war umhüllt von einem dunklen Leichentuch, endlos und unerbittlich, und es ließ Alicia bis ins Mark erschauern. Sie fragte sich, was es war, doch dann wusste sie es: der Traum dessen, der Martínez hieß. Julio Martínez aus El Paso, Texas, der Zehnte der Zwölf, zum Tode verurteilt wegen Mordes an einem Hilfspolizisten. Der, den Alicia suchte.
    In seinem Traum vergewaltigte Martínez immer wieder eine Frau namens Louise– der Name stand in verschnörkelter Schrift auf der Brusttasche an der Bluse der Frau–, und dabei erwürgte er sie mit einem Stromkabel.
    Die Tür des Schuppens hing schief an verrosteten Angeln. Drinnen war es eng: Alicia hätte gern mehr Platz gehabt, besonders bei dreien. Sie schlich vorwärts, folgte der Richtung des Bolzens auf der Armbrust und betrat den Schuppen.
    Zwei der Virals hingen kopfüber an den Deckenbalken, der Dritte kauerte in einer Ecke und nagte mit schmatzenden Geräuschen an einem Stück Fleisch. Sie hatten eben eine Antilope ausgesaugt. Die Überreste lagen jetzt auseinandergerissen auf dem Boden, Fellklumpen und Knochen und Haut. Satt und benommen, nahmen die Virals keine Notiz von ihr, als sie hereinkam.
    » Guten Abend, Ladys.«
    Den Ersten holte sie mit der Armbrust vom Deckenbalken. Ein dumpfer Schlag, ein jäh erstickter Schrei, und der Körper krachte auf den Boden. Die beiden andern kamen jetzt zu sich. Der Zweite ließ den Balken los, zog die Knie an die Brust und drehte sich im Fall, um von ihr abgewandt auf den Klauenfüßen zu landen. Alicia ließ die Armbrust fallen, zog ein Messer und schleuderte es in einer einzigen fließenden Bewegung in den Dritten, der sich aufgerichtet hatte und sie ansah.
    Zwei erledigt, einer blieb noch.
    Es hätte einfach sein müssen. Plötzlich war es das nicht. Als Alicia das zweite Messer zog, fuhr der letzte Viral herum und schlug ihr mit solcher Kraft auf die Hand, dass die Waffe kreiselnd ins Dunkel flog. Bevor die Bestie noch einmal zuschlagen konnte, ließ Alicia sich zu Boden fallen und rollte zur Seite. Als sie mit dem nächsten Messer in der Hand hochkam, war der Viral weg.
    Fuck.
    Sie raffte die Armbrust vom Boden hoch, legte einen neuen Bolzen auf und stürzte hinaus. Wo zum Teufel war er? Zwei schnelle Schritte, und Alicia sprang auf das Dach des Schuppens, wo sie mit metallenem Dröhnen landete. Rasch sah sie sich um. Nichts, keine Spur.
    Dann war der Viral hinter ihr. Eine Falle, begriff Alicia– er musste sich versteckt haben, flach hingestreckt am anderen Ende des Daches. Zwei Dinge geschahen gleichzeitig. Alicia fuhr auf den Absätzen herum und zielte auf ihn, und im selben Moment gab das Dach mit dem Lärm von splitterndem Holz und reißendem Blech unter ihr nach.
    Sie landete mit dem Gesicht nach oben auf dem Boden des Schuppens, und der Viral krachte auf sie herunter. Die Armbrust war weg. Alicia wollte ein Messer ziehen, kam aber nicht heran. Sie brauchte beide Hände, um den Viral auf Armlänge von sich abzuhalten und seinen Zähnen auszuweichen.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher