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Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Titel: Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)
Autoren: Justin Cronin
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stählerne Messer steckten, ihr Markenzeichen: die Blades. Auf dem Rücken, an einem Strick aus kräftigem Hanf, hing ihre Armbrust. Eine halbautomatische .45er Browning mit neunschüssigem Magazin, die Waffe für den äußersten Notfall, saß in einem Holster an ihrem Oberschenkel.
    Acht und eine, hieß es immer. Acht für die Virals, eine für dich. Acht und eine und dann keine.
    Die Stadt hieß Carlsbad. Die Zeit war nicht spurlos an ihr vorbeigegangen, hatte sie blankgefegt wie ein Riesenbesen. Ein paar Gebäude waren aber noch da, die leeren Hülsen von Häusern, rostige Schuppen, still gewordene Ruinen als Beweis für die Vergänglichkeit alles Irdischen. Sie hatte den Tag im Schatten einer Tankstelle verbracht, deren Blechdach aus irgendeinem Grund immer noch stand, und in der Abenddämmerung war sie aufgewacht, um zu jagen. Den Hasen hatte sie mit der Armbrust erwischt– ein Schuss durch die Kehle–, sie hatte ihn gehäutet und über einem Mesquiteholzfeuer gebraten, und sie hatte das faserige Fleisch von den Keulen gezupft, während die Flammen darunter knisterten.
    Sie hatte es nicht eilig.
    Sie war eine Frau mit Regeln, mit Ritualen. Sie tötete keine Virals, wenn sie schliefen. Sie benutzte kein Gewehr, wenn sie es vermeiden konnte. Gewehre waren laut und unsauber und der Aufgabe nicht würdig. Sie nahm sie mit dem Messer, schnell, oder mit der Armbrust, sauber und ohne Reue und immer mit einem barmherzigen Segen im Herzen. Sie sagte: » Ich sende euch heim, meine Brüder und Schwestern, ich befreie euch aus dem Gefängnis eures Daseins.« Und nach dem Töten, wenn sie die Klinge aus ihrem mörderischen Ziel gezogen hatte, legte sie den Griff erst an die Stirn, dann an die Brust, an Kopf und Herz und weihte die Erlösung der Kreatur so mit der Hoffnung, dass ihr Mut sie, wenn der Tag da wäre, nicht im Stich lassen und sie selbst befreit werden würde.
    Sie wartete, bis es Nacht war, löschte das Feuer und brach auf.
    Seit Tagen zog sie durch eine weite Buschlandtiefebene. Im Süden und im Westen ragten die Schattenumrisse von Bergen empor, die sich wie Schultern aus dem Talboden erhoben. Wenn Alicia in ihrem Leben schon einmal das Meer gesehen hätte, dann hätte sie vielleicht gedacht: Das ist es, das ist das Meer. Der Grund eines großen Binnenmeers, und die Berge sind Überreste eines riesigen Riffs aus einer Zeit, da unvorstellbare Ungeheuer über die Erde und die Meere streiften.
    Wo seid ihr heute Nacht?, dachte sie. Wo versteckt ihr euch, meine Brüder und Schwestern im Blut?
    Sie war eine Frau mit drei Leben– zwei Vorher, ein Nachher. Im ersten Vorher war sie nur ein kleines Mädchen gewesen. Die Welt bestand aus schwankenden Gestalten und blitzenden Lichtern und sagte ihr nichts. Sie war wie der Wind, der durch ihre Haare fuhr. Bis zu jener Nacht. Sie war acht Jahre gewesen, als der Colonel sie vor die Mauern der Kolonie gebracht und dort zurückgelassen hatte, ohne alles, nicht einmal mit einem Messer. Sie hatte die ganze Nacht unter einem Baum gesessen und geweint, und als die Morgensonne sie fand, war sie verändert, verwandelt, und das Mädchen, das sie gewesen war, war fort. Siehst du?, fragte der Colonel und kniete vor ihr im Staub, wo sie saß. Er umarmte sie nicht tröstend, sondern schaute ihr geradewegs ins Gesicht wie ein Soldat. Verstehst du jetzt? Und sie tat es, ja. Sie verstand. Ihr Leben, der kümmerliche Zufall ihres Daseins, bedeutete nichts. Sie hatte es aufgegeben. An diesem Tag hatte sie den Eid abgelegt.
    Das alles war lange her. Sie war ein Kind gewesen, dann eine Frau, dann– was? Die dritte Alicia, das Neue Wesen, nicht Viral und nicht Mensch, sondern irgendwie beides. Ein Amalgam. Ein Kompositum, ein Wesen für sich. Sie war unter den Virals gereist wie ein unsichtbares Phantom, ein Teil von ihnen, aber auch wieder nicht, ein Geist für die Geister, die sie waren. In ihren Adern war das Virus, doch als Gegengewicht auch ein Zweites, das sie von Amy bekommen hatte, dem Mädchen von Nirgendwo, aus einer der zwölf Ampullen aus dem Labor in Colorado. Die übrigen hatte Amy selbst vernichtet, in die Flammen geworfen. Amys Blut hatte ihr das Leben gerettet, aber dann wiederum auch nicht. Es hatte sie, Lieutenant Alicia Donadio, Kundschafter-Scharfschütze der Expeditionsstreitkräfte, zu einem Wesen gemacht, das einzigartig war. Unter den Lebenden gab es niemanden wie sie.
    Es kam vor, oft, eigentlich immer, dass Alicia selbst nicht genau hätte sagen können, was sie
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