Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die zweite Todsuende

Die zweite Todsuende

Titel: Die zweite Todsuende
Autoren: Lawrence Sanders
Vom Netzwerk:
Pensionierung ist er nach Arizona gegangen, weil meine Schwester Asthma hatte. Bringen Sie sie in 'n trockenes Klima, hat der Arzt ihm gesagt, sonst ist sie in einem Jahr tot. Deshalb hat sich mein Schwager - Pincus heißt er übrigens, Louis Pincus - vorzeitig pensionieren lassen, wissen Sie, und ist mit Sadie nach Arizona. Hat sich da 'n Haus gekauft. Mit Rasen und was so dazugehört. Nach den Bildern, die sie geschickt haben, muß es 'n schönes Haus gewesen sein. Und ein Jahr später - nur ein einziges Jahr, überlegen Sie mal! - fällt Louis beim Rasenmähen um.» Harry Schwartz schnippte mit den Fingern. «Einfach so. Die Pumpe. Da zieht er also Sadies Gesundheit wegen weit weg und fällt tot um, und sie ist kräftig wie ein Roß, bis auf den heutigen Tag. So ist das Leben. Stimmt's?»
    «Stimmt», sagte Delaney mit kaum wahrnehmbarer Stimme.
    «Ach ja!» Harry Schwartz seufzte. «Was will man machen? So geht's nun mal. Sagen Sie, Chief, was ist eigentlich mit diesen jungen Polizisten los, die man heutzutage so rumlaufen sieht. Ich meine die mit den Koteletten, den Schnurrbärten und den langen Haaren. Für meine Begriffe sehn die nicht mal aus wie Polizisten, verstehen Sie?»
    Nach Delaneys Begriffen sahen sie auch nicht aus wie Polizisten, aber einem Zivilisten gegenüber würde er das nie zugeben.
    «Hören Sie», sagte er, «vor hundert Jahren hatte in New York praktisch jeder Polizeibeamte einen Bart. Die meisten sogar richtige Walroßbärte. Damals mußte man sich geradezu einen Bart stehen lassen, wenn man zur Polizei wollte. Die Mode ändert sich, aber die Polizisten selbst ändern sich nicht. Das heißt, vielleicht sind sie heute ein bißchen schlauer als damals.»
    «Kann sein», sagte Harry Schwartz. «Damit mögen Sie wohl recht haben. Noch eins?»
    «Bitte. Das hier war nur zum Anfeuchten. Wie steht's mit Ihnen? Wollen Sie auch eins?»
    «Nee», sagte Schwartz, «vielen Dank, aber nicht bei der Arbeit. Das darf ich nicht.»
    «Nun, nun …»
    «Na ja … vielleicht ein Bier. Ich stell's unter die Theke. Vielen Dank.»
    Und er vollführte das ganze Ritual noch einmal und öffnete eine weitere Flasche Importbier für Delaney. Dann eine Flasche heimisches Bier für sich und füllte ein Glas. Wachsam in dem leeren Raum umherblickend, hob er rasch sein Glas und sagte: «Auf Ihr Wohl, Chief!»
    «Auf das Ihre.»
    Beide tranken einen kleinen Schluck, und der Bartender versteckte sein Glas geübt unter der Theke.
    «Wenn man noch seine Gesundheit hat, was will man mehr, stimmt's?» sagte er.
    «Stimmt.»
    «Aber es ist schon ein beknackter Beruf, oder? Polizeibeamter sein, meine ich.»
    Edward X. Delaney schaute in sein Glas. Dann hob er es von der feuchten Papierserviette, stellte es auf die polierte Theke und beschrieb kleine Kreise damit.
    «Manchmal.» Er nickte zustimmend. «Manchmal ist es wirklich der beknackteste Beruf, den man sich vorstellen kann. Manchmal ist er aber auch ganz in Ordnung.»
    «Das hab ich mir gedacht», sagte Schwartz. «Ich meine, man kriegt viel Schlimmes zu sehen - stimmt's? Aber andererseits kann man nützlich sein, und das ist gut.»
    Delaney nickte.
    «Ich hab auch mal daran gedacht, Polizist zu werden», erging Schwartz sich in Erinnerungen. «Ehrlich. Als ich mit heilen Knochen aus Korea rauskam und zurück nach New York, hab ich überlegt, was tun. Und da hab ich mir gedacht, vielleicht sollte ich Polyp werden. Ich mein, die Bezahlung, mit der ist es ja nicht weit her - zumindest war das damals so -, aber es war eine sichere Sache, wissen Sie, mit Pensionsberechtigung und allem. Aber im Grunde wußte ich, daß ich einfach nicht den Mumm hatte, Polyp zu sein. Ich meine, Mumm muß man dazu schon haben, oder?»
    «O ja», stimmte Delaney zu.
    «Na, sehen Sie. Da hab ich mir gedacht, was soll's, und es gelassen. Ich meine, wenn jemand auf mich schießen täte, würde ich wahrscheinlich in die Hosen machen. Ehrlich! Ein Held bin ich nicht. Und auf jemand schießen, das hätt ich nie fertiggebracht.»
    «Sie haben doch aber in Korea auf Menschen geschossen, oder nicht?»
    «Nee. Ich war Koch.»
    «Ach», sagte Delaney seufzend, «Schießen und Erschossenwerden, das sind wirklich die Ausnahmen im Polizeidienst. Den meisten Menschen ist das nicht klar, aber es stimmt. Ein Polizeibeamter verbringt höchstens ein Prozent seiner Zeit mit dem Revolver in der Hand, vielleicht sogar noch weniger. Die meisten Polizisten reißen ihre dreißig Jahre ab und drücken außerhalb des
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher