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Die zweite Todsuende

Die zweite Todsuende

Titel: Die zweite Todsuende
Autoren: Lawrence Sanders
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war, als es ihm eigentlich hätte sein sollen. Er lächelte immer noch, als er die kleine, anheimelnde Bar des Hotels Knickerbocker betrat.
    Es war ein dunkler, holzgetäfelter, schachtelartiger Raum. Die Mahagonibar war gute drei Meter lang, davor standen sechs Barhocker mit schwarzen, vinylbezogenen Polstern. Etwa ein Dutzend Bistro-Tischchen war aufgestellt, jeder mit zwei Drahtstühlen davor, deren Sitze gleichfalls mit schwarzem Vinyl bezogen waren. Ein Gemälde aus den dreißiger Jahren hinter der Bar nahm die ganze Wand ein; eine entfernt an Art Deco erinnernde Montage aus Wolkenkratzern, Jazzmusikern, schnurrbärtigen Männern in taillierten Fräcken und blonden Frauen in glitzernden Abendkleidern, die nach irgendeinem irrsinnigen Rhythmus tanzten. Das Bild war in Weiß, Schwarz und Silber gehalten, nur die Noten glitten feuerwehrrot darüber hin. Oben drüber stand in krakeligen Buchstaben die Inschrift Come along and listen to - the lullaby of Broadway.
    Delaney schwang sich auf einen der Barhocker. Er war der einzige Gast. Der große, spitzbäuchige Bartender ließ die Daily News sinken und trat heran. Er trug ein weißes Hemd mit Ärmelhaltern und eine kleine schwarze, am Kragenknopf befestigte Lederfliege. Seine lange weiße Schürze reichte von der Brust bis zu den Knöcheln. Freundlich lächelnd placierte er einen Aschenbecher, eine Schale mit gesalzenen Erdnüssen und eine Papierserviette mit aufgedrucktem Hotelwappen vor Delaney.
    «Guten Tag, Sir», sagte er. «Was darf es sein?»
    «Guten Tag», sagte Delaney. «Haben Sie Ale oder sonst ein dunkles Bier?»
    «Dunkles Löwenbräu», sagte der Mann und starrte Delaney an.
    «Dann hätte ich das gern.»
    Der Mann schnippte mit den Fingern und hörte nicht auf, Delaney anzustarren.
    «Ich kenne Sie», sagte er. «Ich kenne Sie …»
    Delaney blieb stumm. Der Mann fuhr fort, ihn anzustarren und mit Fingern zu schnippen.
    «Delaney!» entfuhr es ihm dann. «Der Chief! Stimmt's?»
    Delaney lächelte. «Stimmt», sagte er.
    «Gleich als Sie reinkamen, wußte ich, daß Sie wer sind», erklärte der Bartender. «Ich wußte, ich hab Sie in der Zeitung oder im Fernsehen gesehen.» Sorgfältig wischte er die Hand an der Schürze ab und streckte sie Delaney hin. «Es ist mir ein Vergnügen, Chief. Glauben Sie mir! Ich heiße Harry Schwartz.»
    Delaney schüttelte die ihm dargebotene Hand.
    «Nichts mehr von wegen Chief, Harry», sagte er. «Ich bin pensioniert.»
    «Hab ich gelesen, hab ich gelesen», sagte Schwartz. «Daß Sie nur lange was davon haben! Aber ein Präsident, wenn er abtritt, ist immer noch ‹Mr. President›. Stimmt's? Ein Gouverneur bleibt Gouverneur, bis er stirbt. Und bei einem Colonel in der Army ist das genauso. Mag er auch im Ruhestand leben - die Leute reden ihn immer mit ‹Colonel› an. Stimmt's?»
    «Stimmt.» Delaney nickte.
    «Folglich sind Sie immer noch der Chief», sagte der Bartender. «Und ich, wenn ich mich mal zur Ruhe setze, bin immer bloß Harry Schwartz.»
    Er entnahm einem Kübel mit zerstoßenem Eis eine Flasche dunkles Löwenbräu und wischte sie mit einem sauberen Tuch sorgfältig ab. Dann wählte er aus den Gläsern auf dem Regal hinter ihm eines aus und hielt es gegen das Licht. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß es blitzblank war, stellte er das Glas vor Delaney auf die Papierserviette. Er machte die Flasche auf, füllte das Glas, bis sich etwa drei Finger hoch weißer Schaum absetzte. Dann stellte er die Flasche auf einen kleinen Bierfilz neben Delaney und wartete darauf, daß Delaney einen Schluck nahm.
    «In Ordnung?» erkundigte er sich zuversichtlich.
    «Wunderbar», sagte Delaney ganz aufrichtig.
    «Gut», sagte der Bartender und lehnte sich mit verschränkten Armen auf die Bar. «Also jetzt müssen Sie mir erzählen, was Sie so treiben.»
    «Mal dies, mal das», sagte Delaney ausweichend. «Ich gebe mir Mühe, nicht einzurosten.»
    Der Bartender spreizte die Finger.
    «Was sonst?» sagte er. «Daß man pensioniert ist, bedeutet noch lange nicht, daß man tot ist. Stimmt's?»
    «Stimmt», sagte Delaney geduldig.
    «Ich dachte, wenn sie erst mal pensioniert sind, gehen alle Polypen nach Florida und spielen dort Shuffleboard?»
    «Viele tun das ja auch.» Delaney lachte.
    «Mein Schwager, der war auch Polizeibeamter», sagte Harry Schwartz. «Wahrscheinlich kannten Sie den nicht. Draußen in Queens. Ein guter Mann. Hat sich nie schmieren lassen, na, höchstens ein kleines bißchen. Nach seiner
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