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Die zweite Todsuende

Die zweite Todsuende

Titel: Die zweite Todsuende
Autoren: Lawrence Sanders
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Manhattan, besuchte Viertel, die er seit seiner Zeit als Streifenpolizist nicht mehr gesehen hatte, und staunte immer noch von neuem darüber, wie sehr die Stadt sich verändert hatte, ja, sich immer noch veränderte - ein ständiges Fließen, das einen schwindlig machte, so schnell vollzog es sich: in einem jüdischen Mittelstandsviertel wohnten jetzt nur noch Puertorikaner; eine Straße mit heruntergekommenen Reihenhäusern wurde von jungen Ehepaaren bezogen und sehr hübsch restauriert; Wolkenkratzer wurden abgerissen und machten Parkflächen Platz; wo früher eine Fabrik gestanden hatte, war jetzt eine Grünanlage; manche Straßen waren überhaupt ganz verschwunden; und wo ehedem ein Pelzhändler neben dem anderen gesessen hatte, gab es jetzt eine Unzahl von kleinen Kunstgalerien.
    Indessen, man konnte nicht unentwegt Briefe schreiben, Bücher lesen, Spaziergänge machen. Es blieb ein Rest…
    Such dir einen Job, hatte Monica vorgeschlagen. Als Detektiv in einem Warenhaus. Bau dir eine eigene Firma auf, Werkschutz oder so etwas Ähnliches. Könntest du nicht eine Auskunftei betreiben? Privatdetektiv sein? Wie im Fernsehen?
    Nein, hatte er lachend gesagt und sie geküßt. Er konnte kein Privatdetektiv sein wie im Fernsehen.
    Als der Nachmittag fortschritt und es im schönen Innenhof der Frick Galerie dunkler wurde, stand er auf und ging zum Ausgang, ohne einen Ausstellungsraum besucht zu haben. Er kannte die Gemälde. El Grecos Heiliger Hieronymus war eines seiner Lieblingsbilder, und in der Galerie hing ein Porträt, das Don Ameche ähnelte. Dieses Bild gefiel ihm gleichfalls. An der prachtvollen Orgel auf der Treppenempore vorüber ging er nach draußen.
    Man erzählte sich, der alte Frick, dieser industrielle Raubritter, der den Palast erbaut hatte, habe, wenn er wieder einmal Arbeiter hatte niederknüppeln lassen oder einen Konkurrenten ruiniert hatte, in diesem traulichen Eigenheim die Füße hochgelegt und verträumt gelauscht, wenn sein Hoforganist ihm Und wieder geht ein schöner Tag zu Ende… vororgelte.
    Bei dieser Vorstellung lächelte Edward X. Delaney und drückte dem Mann an der Garderobe, der ihm seinen schwarzen Homburg brachte, 25 Cent in die Hand.
    Der Mann befühlte die Münze und sagte: «Vielen Dank, Chief.»
    Überrascht und erfreut sah Delaney ihn an, sagte jedoch nichts. Doch als er das Gebäude verließ, dachte er: Man hat mich also nicht ganz vergessen! Erst nach einer Weile ging ihm auf, daß der Mann ‹Chief› gesagt haben konnte, wie man ‹Kumpel› sagt oder ‹Freund›. «Vielen Dank, Kumpel.» Vielleicht bedeutete es weiter nichts als das. Immerhin …
    Auf der Fifth Avenue wandte er sich nach Süden und genoß den schwindenden Mainachmittag. Man konnte sagen, was man wollte, im richtigen Augenblick und an der richtigen Stelle war New York eine verdammt schöne Stadt. Die über dem Central Park sinkende Sonne hüllte die ragenden Hochhaustürme in einen goldenen Schimmer und ein Hauch von duftendem Grün wehte vom Park herüber. Die Bürgersteige der Fifth Avenue waren sauber, die Fußgänger fröhlich und wohlgekleidet. Der an- und abschwellende Verkehr gehörte einfach dazu. Er wurde von Jahr zu Jahr dichter, war bereits vor Delaneys Geburt dagewesen und würde noch da sein, wenn er längst unter der Erde lag. Dieser Gedanke hatte etwas Tröstliches für ihn, und das wiederum fand er komisch.
    Er ging bis zur 55th Street hinunter und bahnte sich durch immer dichtere Menschentrauben den Weg nach Süden. Kauflustige. Touristen. Boten. Eine Gruppe von Hare Krishna-Jüngern. Ein junges Mädchen, das Zither spielte. Fliegende Händler. Bettler. Müßiggänger. Er sichtete Dirnen und Halbstarke auf der Pirsch, doch im wesentlichen war es eine harmlose, gutartige Menge. Pflastermaler (Schmetterlinge auf schwarzem Samt), politische und religiöse Fanatiker mit amerikanischen Flaggen, Demonstranten mit Spruchbändern, beäugt von einem Polizisten, der träge seinen Gummiknüppel schwang. Delaney fühlte sich zugehörig. Meine Familie, war er versucht zu denken. Doch das war, wie er zugeben mußte, einfach zu weit hergeholt und lächerlich.
    Er war ein massiger, zum Grübeln neigender Mann. Mit seinen gerundeten Schultern machte er einen eher grobschlächtigen Eindruck. Gut aussehend, wenn auch schwer und gealtert, mit grauem Bürstenschnitt. Feierliches Gehabe; er neigte zu Schwermut, und man merkte es ihm an. Seine Hände waren Fäuste. Und sein wiegender Gang war der des
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