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Die zweite Todsuende

Die zweite Todsuende

Titel: Die zweite Todsuende
Autoren: Lawrence Sanders
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Dreitausend Männer standen ihm zur Verfügung und ein gewaltiges Budget, das freilich niemals reichte. Kämpfen allerdings konnte man auf diesem Posten nur hinhaltend; Schlachten ließen sich gewinnen, der Krieg nie. So waren die Verhältnisse nun mal. Worauf es ankam, war, nicht aufzugeben.
    Und eben das hatte er getan. Es war eine persönliche Kapitulation gewesen, nicht die Kapitulation der Polizei. Er stellte seinen Posten nur zur Verfügung, weil er das politische Drumherum nicht mehr ertragen konnte, das mit jedem hohen Amt verbunden ist.
    Selbstverständlich wußte er vor Antritt seines Postens, welche Rolle die Politik in den oberen Rängen der Polizei spielt. Daran war nichts Ungewöhnliches, nichts Verachtenswertes. Eine Großstadt ist ein gesellschaftliches Gebilde, in dem unvermeidlich einander widerstreitende Interessen aufeinanderprallen, Beschränktheit und brennender Ehrgeiz, Idealismus, Zynismus, Intrigen, Verrat und Korruption. Politik ist mit dem Funktionieren eines jeden gesellschaftlichen Organismus verbunden, der aus mehr als zwei Menschen besteht.
    Unerträglich wurde das für Delaney erst, als die Politik seine Amtsführung beeinflussen, ihm vorschreiben wollte, wie er seine Aufgaben wahrnehmen, seine Untergebenen einsetzen, die Schwerpunkte der polizeilichen Tätigkeit bestimmen sollte. Was ihm wesentlich erschien und was nicht, was er vor der Presse verlautbarte, seine Beziehungen zu anderen städtischen Behörden, zur Landes- und zur Bundespolizei - das alles sollte nach politischen, statt nach sachlichen Gesichtspunkten gehandhabt werden.

    Deshalb ersuchte er nach langen Gesprächen mit seiner zweiten Frau Monica um Versetzung in den Ruhestand. Sie waren sich darin einig, daß sein Seelenfrieden wichtiger sei als ein volles Gehalt und die anderen Vorteile, die mit seiner Stellung verbunden waren. Die Behörde, so dachte er nun bekümmert, hat sich mit meinem Ausscheiden erstaunlich gut abgefunden. (Er habe «das Boot beinahe zum Kentern gebracht», war zwar anfangs geflüstert worden; er halte «nicht zur Mannschaft».) Doch gab man das übliche feierliche Abschiedsessen für ihn, schenkte ihm hübsche Gepäckstücke und goldene Manschettenknöpfe, und Commissioner und Bürgermeister bescheinigten ihm, tüchtig, loyal und vertrauenswürdig gewesen zu sein, ein unersetzlicher Mitarbeiter. Blabla bis zuletzt.
    Da saß er nun; die sechzig rückte näher, und hinter ihm lag ein ganzes Leben bei der Polizei: Streifenpolizist, Versetzung zur Kriminalpolizei, allmählicher Aufstieg zum Sergeant, dann Lieutenant, als Captain Leiter eines Polizeireviers, endlich Chief der gesamten Kriminalpolizei. Keine schlechte Karriere. Was die Zahl der öffentlichen Belobigungen betraf an zweiter Stelle seit Bestehen des städtischen Polizeikorps. Narben, die Zeugnis ablegten für seinen Mut. Einige Reformen des Dienstreglements, von denen der normale Bürger nichts wußte, die aber seither fester Bestandteil der polizeilichen Ausbildung waren, gingen auf ihn zurück. Ihm war es zu danken, daß Verdächtigen die Hände auf dem Rücken gefesselt wurden. Nicht gerade zu vergleichen mit der Entdeckung der Schwerkraft oder der Atomenergie, aber immerhin wichtig. Jedenfalls für Polizeibeamte.
    Er mochte nicht zugeben, daß er sich langweilte. Konnte denn jemand, der sich selbst einer so strengen Disziplin unterwarf und so selbstgenügsam war, an Langeweile leiden? Auf gelegentlichen Reisen mit seiner Frau vermied er es mit Bedacht, Kollegen in Fort Lauderdale, Florida, oder La Jolla, Kalifornien, zu behelligen; solche Besuche (noch dazu von Polizeibeamten im Ruhestand!) sind für eine stets unter Druck stehende Polizeibehörde nur lästig, einerlei ob in der Großstadt oder auf dem Lande.
    Daheim, in dem Haus aus braunem Sandstein direkt neben dem 251. Revier (seinem ehemaligen Revier), gab er sich Mühe, Monica nicht im Wege zu sein, ihr auch nicht wie ein junger Hund auf Schritt und Tritt zu folgen, was er bei pensionierten Kollegen beobachtet hatte. Er las viel, besuchte Museen, schrieb Briefe an seine Kinder aus erster Ehe. Er ging mit Monica in Restaurants und ins Theater, lunchte mit seinen Stieftöchtern in deren Mittagspause, trank gelegentlich ein Glas mit ehemaligen Kollegen und hörte sich ihre Klagen und Probleme an. Er gab jedoch nur dann einen Rat, wenn er darum gebeten wurde. Man besuchte ihn, nachdem er pensioniert war, anfangs oft, später seltener.
    Und er ging viel spazieren, durchstreifte ganz
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