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Die Zunge Europas

Die Zunge Europas

Titel: Die Zunge Europas
Autoren: Heinz Strunk
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Schwachstromkörper unter Koffeineinfluss sofort kollabieren würden. Die Gäste haben sich dran gewöhnt, dafür sind die Preise für die Gegend sehr moderat. Mein interner Spitzname fürs «Pustekuchen»: «Zombiecafé», wahlweise «Café der Untoten».
     
    Ich blieb so lange am Tresen stehen, bis sich Fantomas meiner erbarmte. Er sagte nichts, schaute mich nur an. «Wie immer. Einen großen Bohnenkaffee und eine kleine Apfelschorle. Ich sitz da drüben.» Ich zeigte irgendwohin. Er nickte und verzog sich in die Küche. Ich habe ihn, soweit ich mich erinnern kann, noch nie sprechen hören. Seltsam, wenn einem Aussehen, Gang und Mimik bzw. nicht vorhandene Mimik vertraut sind, die dazugehörige Stimme jedoch fehlt. Dabei braucht jeder gastronomische Betrieb doch eine Seele, einen Maestro, einen Mâitre, eine Identifikationsfigur, die
Signale
aussendet! Das Signal nämlich, dass man willkommen ist, herzlich willkommen sogar. Ein Chef, der einem zur Begrüßung auf die Schultern haut, dass es kracht, der einem vor überströmender Herzlichkeit die Hand und eventuell den Schädel zerquetscht (Ganzkörperzwinge). Dem man seine kreuzdämliche Fertigteil-Sprache ebenso durchgehen lässt wie die Unart, einem vor lauter falscher Freundschaft hin und wieder in die Wange zu zwacken oder die Ohren langzuziehen. Geschenkt, macht nix, weils vum Herze kümmt! Vielleicht weiß Fantomas das alles auch und macht es extra nicht, um sich vom Billig-Griechen gegenüber abzugrenzen. Man weiß es nicht, er sagt ja nichts.
    Ich ging zu meinem Platz zurück. Sicher würden Kaffee und Schorle ewig dauern. Und ich hatte vergessen, mir was zum Lesen mitzunehmen. Langweilig. Mir schoss der Wahlspruch von Lemmy Kilmister (Motörhead) durch den Kopf: «Das Leben gleicht von außen einem leckeren Sandwich. Doch wenn man reinbeißt, stellt man fest, dass es mit Kacke bestrichen ist.» Ich kenne keinen vernünftigenMenschen, der Lemmy Kilmister nicht mag. «China produziert Waren, Indien Köpfe.» Auch nicht schlecht, musste ich kürzlich irgendwo gelesen haben. Was ich nicht alles weiß. Ich kenne z.   B. etliche Schlagertexte auswendig und ganz viel anderes unnützes Zeug, das lebenswichtigen Informationen das Wasser abgräbt und dringend benötigten Speicherplatz besetzt hält. Schrottinfos, tumorartiges Wucherwissen, das freche Raumforderungen stellt. «Eine Imprägnierung schließt immer auch eine Immunisierung ein.» Woher kam das denn nochmal? Peter Sloterdijk! Solche Sätze stammen mit hoher Wahrscheinlichkeit von Peter Sloterdijk. «Beschleunigung führt zu Fahrigkeit und Depersonalisierung, die Psyche kann den Wahrheitsgehalt nicht mehr überprüfen.»
    Shit for da headz!
    Da kann so nur Peter Sloterdijk drauf kommen. Man müsste trainieren, Smalltalk mit Peter-Sloterdijk-Shouts zu bestreiten. Aber mit wem üben? Mit Esther sicher nicht.
    Es war schon Viertel vor zwölf und immer noch kein Getränk in Sicht, ewig hatte ich auch nicht Zeit. Am Nebentisch in Erwachsenengröße saßen eine junge Frau und ein junger Mann, die sich nicht besonders gut zu kennen schienen. Vielleicht ihr erstes Rendezvous. Die Frau sah sehr gut aus, ca. 15 bis 20   % attraktiver als der Mann, der auch gut aussah, aber öde, BWL/​Jura/​Medizin. Schlechte Aura, löchriges Karma. Keine Ausstrahlung. Bei Pärchen versuche ich immer so exakt wie möglich zu taxieren, wer um wie viel Prozent attraktiver ist und wie der/​die Unterlegene das Defizit wohl ausgleicht. Eine Marotte von mir.Zwischen den beiden lief es nicht. Das Gespräch hangelte sich an einer endlosen Kette von Floskeln und Versatzstücken entlang, stockend, zäh. Worte schwirrten bindungslos durch den Äther und zerfielen in ihre Buchstaben, aus denen sie dann wieder neue Leerformeln bildeten. Die beiden kamen sich einfach nicht näher. Meine Güte, ihr seid doch erwachsene Menschen, sagt doch wenigstens mal einen einzigen vernünftigen Satz!
    Frau: «Der Laden hier läuft echt gut.»
    Mann (der originellste Einfall seit Jahren): «Seitdem du hier wohnst, was?!»
    Die Torte ist so stumpf, dass sie selbst dieses kleine Witzchen und das darin versteckte Kompliment nicht kapiert.
    Frau: «Ich wohn seit knapp vier Jahren hier.»
    Mann: «Ach so, ja.»
    Schweigen. Rühren. Alles ist gesagt. In einem zähen Strudel spamverseuchter Wiederholungen dreht sich das ganze Seelenleben. Bei den meisten Menschen würde man geheime Leidenschaften, eine verborgene Seite zu Unrecht vermuten. Das Geheimnis liegt
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