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Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer

Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer

Titel: Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer
Autoren: Ralf Isau
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»Möchtest du meine Frau werden, Shúria? Willst du dein Leben mit mir teilen …?«
    Ihr fiel ein Stein vom Herzen. Sie unterbrach seine Fragen mit einem langen Kuss. Dann erst antwortete sie: »Ja. In guten wie in schlechten Zeiten.«
    »Mama, du tust mir weh!«
    Shúria blinzelte. Sie stand noch unter Schock. Plötzlich von ihrem Liebsten fortgerissen zu werden, war zu viel gewesen. Ihre Seele hatte bei den Erinnerungen an jenen Tag vor elf Jahren Halt gesucht, als die Wochen der Trauer dem Glück gewichen waren. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie fest sie ihren Sohn an die Brust drückte. Rasch lockerte sie den Griff. »Entschuldige, kleiner Löwe.«
    »Ich kann Papa nicht mehr sehen«, jammerte Ari.
    Ihr ging es genauso. Das Morgenlicht, das sich auf der Lufthülle von Barnea brach, verhüllte die Insel wie ein Schleier. Irgendwo hinter diesem Vorhang befand sich Taramis und – sie kannte ihn besser als er sich selbst – verzehrte sich bestimmt vor Sorgen. Sie straffte die Schultern. Als Tochter des Hohepriesters hatte sie schon manche Gefahr durchgestanden. Allein um ihres Sohnes willen musste sie jetzt stark sein. Keinesfalls würde sie aufgeben. Nicht, solange sie atmete.
    Um ihrer Stimme Vertrauen und Zuversicht zu geben, räusperte sie sich. »Und trotzdem ist dein Vater weiter da. Bald wird er uns suchen und uns nach Hause zurückbringen.«
    »Ohne Schwalltier? Wie soll er das machen, Mama?«
    Sie lachte, tat so, als sei dies nun wirklich kein Problem. Irgendwie musste sie Ari auf andere Gedanken bringen. »Das hält doch den Hüter von Jâr’en nicht auf. Aber da du gerade das Vieh erwähnst – lass uns nachsehen, ob es den Tieren gut geht.«
    Der Junge löste sich aus ihrer Umklammerung und wischte sich mit dem Handrücken verstohlen zwei Tränen aus den Augen. Deren Orangeton war wesentlich kräftiger als bei Shúria, da sich auch das helle Braun des Vaters in die Färbung gemischt hatte.
    »Hilfst du mir auf?«, fragte sie und streckte ihm die Hand entgegen. Wenn er sich um seine Mutter kümmerte, mochte er die eigenen Sorgen eine Zeit lang vergessen. Nicht, dass sie darauf angewiesen wäre. Shúria war durch das einfache Leben auf dem Land zu einer starken Frau geworden. Äußerlich sah man der grazilen Seherin ihre Zähigkeit allerdings nicht an. Mit dreißig ist man zwar kein Mädchen mehr, doch in ihrem Fall hatte die Schönheit mit der Reife eher noch zugenommen.
    Ari half ihr auf die Beine. Der Junge schlug mehr nach der Mutter – der gleiche zarte Körperbau, die seidigen schwarzen Haare. Immerhin war er mit seinen zehn Jahren schon fünf Fuß und einen Zoll groß. Die Verständigkeit hatte er von beiden Eltern geerbt. Also würde er auch mit der neuen Lage zurechtkommen.
    »Reinige dich erst mal. Du siehst ja aus wie paniert«, sagte Shúria in jenem liebevoll bestimmten Ton, den der kleine Dickkopf manchmal brauchte. Er hatte eine Tunika, die eine Handbreit über den Knien endete. Seine Füße waren ebenso wie die ihren mit Sandalen beschuht.
    Als müsse sie ihm zeigen, was sie meine, klopfte sie sich selbst den Sand aus den Kleidern. Ihr leichtes Gewand war in einem warmen Blauton gehalten. Es bedeckte kaum ihre Waden, ließ die Arme sogar bis zu den Schultern frei und gab ihr auch sonst mehr Bewegungsspielraum, als man einer züchtigen Frau im Allgemeinen zugestand. Für die körperliche Arbeit auf dem Hof und die milden Sommer auf Barnea war der duftige Stoff genau das Richtige. Wer an ihren Reizen hätte Anstoß nehmen können, lebte in der Stadt oder auf den Ländereien der Großgrundbesitzer. Selten verirrte sich ein Fremder auf das abgelegene Gut des einstigen Hüters von Jâr’en.
    Hand in Hand liefen die zwei zu dem bedenklich schiefen Wohnhaus hinüber, das Taramis und seine junge Frau hier einst mit viel Mühe und Schweiß gebaut hatten. Aus der Nähe zeigte sich das ganze Ausmaß der Zerstörung. Die Holzstämme hatten sich beängstigend weit verschoben und das Schieferdach war teilweise eingebrochen.
    »Wir schlafen wohl besser im Stall«, sagte Shúria.
    Das Muhen der Kuh hallte über den Hof. Sie stand kurz vor dem Kalben. Der aus Latten und Brettern gezimmerte Stall war noch in erstaunlich gutem Zustand. Shúria entschied sich, zunächst einige Habseligkeiten aus dem einsturzgefährdeten Haupthaus zu bergen. Ihren Sohn ließ sie an der Tür zurück, als sie den Wohnraum betrat.
    Darin herrschte ein heilloses Durcheinander. Kein Möbelstück stand mehr an seinem Platz. Die
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