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Die Zeitstraße

Die Zeitstraße

Titel: Die Zeitstraße
Autoren: Kurt Mahr
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von einer unbeschreiblichen Reinheit, die wie ein zartes Parfum wirkte. Jake Wedell ließ Stille und Weite ein paar Minuten lang auf sich einwirken. Dann schritt er hinter dem Fuhrwerk drein und hatte es nach kurzer Zeit eingeholt. Der Fahrer, ein kleiner, grobschlächtiger Mann schwer definierbaren Alters, hatte ihn bis jetzt noch nicht bemerkt.
    »Heda, Bauer!« rief Wedell auf Deutsch. »Fährt Er nach Trettin?«
    Der Grobschlächtige sah auf. Die Bewegung des Zügels genügte, um die trägen Ochsen sofort zum Anhalten zu veranlassen. Ein mürrischer, mißtrauischer Blick traf Wedell.
    »Was geht’s Ihn an?« knurrte der Bauer.
    »Oho, Freund, sehe Er sich mich genau an«, rief Wedell gutgelaunt. »Seh’ ich aus wie einer, zu dem Er Er sagen kann? Ich will Ihm was sagen: entweder Er fährt mich nach Trettin und bekommt dafür einen Taler, oder Er stellt sich bockbeinig und empfängt dafür Prügel!«
    Der Bauer riß die Augen weit auf.
    »Einen Taler?« staunte er ungläubig. »Einen ganzen …?«
    »Einen ganzen Taler«, bestätigte Jake Wedell. »Nun, wie steht’s? Hiebe oder Geld? Ich hab’ nicht Zeit, den ganzen Tag hier herumzustehen und Maulaffen feilzuhalten.«
    »Steigt auf, Herr!« bat ihn der Bauer. »Ist’s Euch bequem genug auf dem Bock, oder soll ich …«
    »Bock ist gut genug«, unterbrach ihn Wedell, schleuderte seine Tasche in den Wagen und kletterte neben den Bauern.
    »Wie heißt Er?« wollte er wissen.
    »Trupje, Herr.«
    »Und woher kommt Er?«
    »Aus Leissow, Herr.«
    »Nach Trettin? Warum fährt er nicht die Straße, anstatt sich über die Heide zu quälen?«
    »Eigentlich nach Kunersdorf, Herr«, berichtigte Trupje. »Aber auf der Straße, da rennen die Österreicher vom Laudon hin und her und lassen keinen anständigen Menschen in Ruhe, und in Kunersdorf, da steht der Soltikow mit seinen Russen, die der Teufel holen soll.« Er seufzte, während er mit dem Zügel auf die behäbig breiten Rücken der Ochsen klatschte und das Fuhrwerk schwankend, knarrend und ächzend wieder in Gang brachte, »’s ist eine schwere Zeit, Herr, Ihr könnt mir’s glauben.«
    »Ich glaub’s Ihm«, antwortete Wedell. »Aber in ein paar Tagen wird’s besser werden. Der König ist unterwegs.«
    »Der König? Der Fritz? Der ist oben in Schlesien, Herr, und hat keine Zeit, sich um uns zu kümmern. Zwei Wochen ist’s her, da nahmen die Russen Frankfurt. Wenn der König sich in zwei Wochen nicht gerührt hat, dann wird er’s nimmermehr tun.«
    »Der König ist auf dem Weg hierher, sag’ ich«, beharrte Wedell. »Ich muß es wissen, denn ich bin Kurier.«
    Trupje warf ihm einen mißtrauischen Blick zu.
    »Nehmt mir’s nicht übel, Herr …, aber ein Kurier? Ohne Pferd?«
    Wedell lachte schallend.
    »Bei Züllichau hat mir’s ein verdammter Ruß’ unter dem Leib weggeschossen. Mußte froh sein, daß ich mit dem Leben davonkam. Jetzt bin ich unterwegs, um zu sehen, wie’s in Frankfurt steht. Zu Fuß geht’s leichter zwischen den Russen und Österreichern hindurch. Aber jetzt, so nah am Ziel, brauch’ ich wieder einen Gaul. Wie steht’s? Kennt Er in Trettin einen, der mir einen Gaul verkauft?«
    Trupje nickte schwerfällig.
    »Ich will’s wohl versuchen, Herr«, antwortete er. »Ich kenne jeden in Trettin. Wenn der Laudon noch ein brauchbares Pferd übriggelassen hat, dann will ich’s Euch verschaffen. Für gutes Geld, versteht sich.«
    Wedell schlug ihm klatschend auf die Schulter.
    »Ums Geld mach’ Er sich keine Sorgen, Trupje.«
     
    So aber war, wie Jake Wedell sich ausdrückte, die Geschichte »wirklich« verlaufen:
    Am 23. Juli 1759 hatten die Russen unter Soltikow die Preußen unter Wedell bei Züllichau geschlagen und die Stadt Frankfurt an der Oder besetzt. Damit noch nicht genug: Sie vereinten sich mit den Österreichern unter Laudon, ein Schachzug, den König Friedrich von Preußen seit langem zu hindern versucht hatte. Friedrich, in Schlesien die Bewegungen des österreichischen Marschalls Daun beobachtend, blieb nichts anderes übrig, als Schlesien zu verlassen und in Eilmärschen nach Brandenburg zu ziehen. Denn Berlin war bedroht! Er vereinigte sich mit seinen Generälen Finck und Wedell und überschritt an der Spitze einer Armee von 48 000 Mann in der Nacht vom 11. zum 12. August die Oder unterhalb Frankfurt.
    Um zwei Uhr morgens trat er den Marsch entlang des rechten Oderufers an. Die vereinigten Österreicher und Russen lagerten in der Gegend von Kunersdorf, einem kleinen Ort
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