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Die Zeitstraße

Die Zeitstraße

Titel: Die Zeitstraße
Autoren: Kurt Mahr
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vermieden hätte. In jenen Augenblicken kam er sich wie ein erbärmlicher Verräter vor. Er entzog sich der Verlegenheit, indem er das Hüllfeld bis auf den Nominalwert aktivierte. Damit hatte er die Zeitreise angetreten. Im Innern des Chronoskaphen selbst gab es keinerlei Veränderung. Bis auf das Rumoren der Geräte existierte kein Hinweis darauf, daß der Chronoskaph sich in Tätigkeit befand. In Jake Wedells Bewußtsein entstanden Zweifel, ob sein Experiment gelingen würde. Es gab keinerlei Sichtverbindung mit der Außenwelt. Er fragte sich, was er während dieser Reise durch ein übergeordnetes Universum zu sehen bekommen würde, wenn die Kapsel ein Fenster besäße.
    Schließlich erlosch das Kontrollicht auf der Konsole. Das Geräusch der Geräte verebbte und endete mit einem dumpfen Wummern. Ungeheure Erregung hatte sich des Zeitreisenden bemächtigt. Er spürte einen sanften Ruck, der wahrscheinlich daher rührte, daß die Bodenhöhe des Zielorts nicht mit letzter Genauigkeit eingestellt worden war. Mit zitternden Händen öffnete er das Luk. Warme, feuchte Luft, ein Geruch nach Sumpf und Moder schlugen ihm entgegen. Er sah schlanke Kiefern und dazwischen verfilztes Unterholz. Über der Szene wölbte sich ein sommerlich blauer Himmel mit den sanften Wattebäuschen vereinzelter Wolken. Durch die Stille drang ein quietschender, knarrender Laut. Jake Wedell lauschte aufmerksam und kam zu dem Schluß, daß es sich um ein Fuhrwerk mit hölzernen Rädern handeln müsse. Da erst begann er zu glauben, daß er sein Ziel tatsächlich erreicht habe.
     
    Er stieg aus und begann, Unterholz auf die Kugel des Chronoskaphen zu häufen, so daß sie nicht von einem zufällig des Weges Kommenden entdeckt wurde. Danach schritt er das Gelände ab und prägte sich Einzelheiten ein, so daß er den Standort des Chronoskaphen jederzeit ohne Mühe wiederfinden konnte. Unter diesen Vorbereitungen verging mehr als eine Stunde. Inzwischen stieg die Sonne höher, und die Hitze nahm zu. Auch das war ein Hinweis darauf, daß er tatsächlich richtig ans Ziel gekommen war. Denn als Ankunftszeit hatte er 9.30 Uhr morgens gewählt. Es mochte gegen elf Uhr sein, als er sich endlich auf den Weg machte. Er trug ein langärmliges Hemd, das über der Brust halb offen und mit ledernen Schnüren versehen war. Über dem Hemd trug er eine ärmellose Weste mit Schnallen, die jetzt jedoch wegen der Hitze nicht geschlossen waren, sondern klingelnd herabbaumelten. Ansonsten bestand seine Kleidung aus einer einfachen Hose, deren Beine in wadenhohen Stulpenstiefeln staken. Die Hose wurde von einem breiten Ledergürtel gehalten, von dem auf der Linken mit dem entsprechenden Gehänge ein kurzer Degen hing. Ebenfalls links im Gürtel stak eine Pistole von wahrhaft furchterregendem Kaliber. Von der rechten Schulter baumelte dem Zeitreisenden eine lederne Tasche, in der er allerhand Utensilien, darunter auch Pulver und Kugeln für die Pistole, untergebracht hatte. Sein von Natur aus langes Haar hatte Jake Wedell hinten zu einem kurzen Zopf geflochten, der an seinem unteren Ende von einer kleinen, schwarzen Schleife geziert wurde.
    Die Kleidung hatte Wedell Stück um Stück im Laufe der vergangenen Jahre nach historischen Vorbildern anfertigen lassen. Er hatte sie hin und wieder getragen, um ihr ein wenigstens leicht gebrauchtes Aussehen zu verleihen. Stoffe und Leder waren nicht von der billigsten Sorte. In einer Zeit, in der man den Menschen nach seiner Kleidung beurteilte, konnte Wedell ohne weiteres als ein Mitglied der reicheren Klasse gelten.
    Er hielt sich zunächst in westlicher Richtung. Beim Marschieren faßte er mit der rechten Hand des öfteren in die Tasche, um sich zu vergewissern, ob das Geld und die kleine Nadelwaffe noch vorhanden seien. Auf beides war er angewiesen. Ohne Geld konnte er sich kein Pferd beschaffen, und ohne die Nadelpistole hatte er keine Möglichkeit, den königlichen Kurier an der Ausübung seiner Pflicht zu hindern. Nach wenigen Minuten gelangte er an den Waldrand. In westlicher Richtung erstreckte sich unebenes Heideland. Über die Rillen und Erhebungen der Heide aber mühte sich quietschend und knarrend das Ochsenfuhrwerk, das Jake Wedell schon vor anderthalb Stunden gehört hatte und das in der Zwischenzeit kaum vom Fleck gekommen war.
    Die Leere des Landes beeindruckte ihn. So also hatte es auf der Erde ausgesehen, als man die Menschen noch nach Millionen anstatt Milliarden zählte. Die Luft war feucht und diesig und doch
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