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Die Zeitstraße

Die Zeitstraße

Titel: Die Zeitstraße
Autoren: Kurt Mahr
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zu sein. Selbst Jake Wedell, der die Kugel so genau kannte wie kein anderer, konnte nicht sagen, an welcher Stelle sich das Luk befand, durch das man ins Innere des Gebildes gelangte. Die Fugenlosigkeit war das Resultat einer Forderung, die sich aus der Physik der Chronoskaphie ergab: Unebenheiten der Oberfläche des Versuchskörpers schufen Verzerrungen des Hüllfeldes, die wiederum unvorhersehbare Ungenauigkeiten des Versuchsablaufs zur Folge hatten.
    Die Kugel war mit der höchsten Präzision hergestellt worden, deren sich die Technologie des Menschen befleißigt hatte. Die Abweichung von der geometrisch exakten Kugelform betrug nirgendwo mehr als 0,00001 Prozent.
    Als Jake seinen Rundgang beendet hatte, blieb er stehen und zog ein Kästchen aus grauem Plastikmaterial aus der Tasche. Es war gerade so groß, daß es ihm bequem in der Hand lag. Auf der Oberseite hatte es einen runden, roten Knopf. Jake wölbte den Daumen über die Seite des Kästchens herauf und drückte den Knopf, bis er fast im Innern des Geräts verschwand. Dann sah er auf. Für wenige Augenblicke war ein leises Surren zu hören. Jake machte einen zweiten Rundgang, aber er hatte die Kugel nicht zur Hälfte umrundet, da sah er den blassen, gelblichen Lichtfleck in der Wand des Chronoskaphen. Das Luk hatte sich geöffnet. Der Impulsgeber, Jake Wedells eigene Konstruktion, funktionierte. Das Luk war nur wenig über anderthalb Meter hoch und lag unsymmetrisch zur Äquatorebene der Kugel, nämlich so, daß mehr als die Hälfte in den oberen Teil der Kugel hineinragte. Der untere Rand der Öffnung lag fast einen Meter hoch über dem Boden. Es wäre gut, überlegte Jake, wenn er sich für morgen eine kleine Trittleiter besorgte.
    Er drückte abermals auf den Schaltknopf und beobachtete, wie sich das Luk im Innern der Kugel seitwärts vor die Öffnung schob und sich danach mit einem Ruck nach vorne verschloß. Das Surren kam von dem Elektromotor, der das Luk betrieb. Jake schob den Impulsgeber wieder in die Tasche und wandte sich dem Ausgang der Laborhalle entgegen. Es ging auf Mitternacht. Er war müde und brauchte Ruhe. Allerdings fragte er sich, ob er vor lauter Aufregung überhaupt werde schlafen können.
    Er war von dem Ausgang noch ein Dutzend Schritte entfernt, da öffnete sich plötzlich die große Tür. Jake blieb erschreckt stehen. Unter der Türöffnung erschien Dr. Janssens hochgewachsene, hagere Gestalt. Janssen hatte von Natur aus nicht besonders viel Teint. Hier, im Licht der bläulichweißen Laborbeleuchtung, wirkte seine Blässe fast schon unnatürlich. Er sah Jake Wedell überrascht an.
    »Sie? Noch so spät im Labor?«
    Jake machte eine fahrige Geste.
    »Ich konnte nicht schlafen, Pete«, entschuldigte er sich. »Ich war aufgeregt und nervös. Ich stellte mir vor, wie irgendein Narr hier eindringt und an dem Chronoskaphen herumpfuscht.« Er zuckte mit den Schultern. »Die Sache ließ mir keine Ruhe. Ich mußte herkommen und mich umsehen.«
    Pete Janssen grinste freundlich.
    »Das ist Telepathie, Jake! Ich hatte dieselbe Sorge.«
    »Sehen Sie?« strahlte Jake. »Jetzt haue ich mich aber hin. Viel Spaß noch!«
    »Danke«, brummte Janssen und trat zur Seite, um Jake an sich vorbeizulassen.
    Erst auf dem Weg zu seinem Zimmer erholte sich Jake Wedell von dem Schreck, den Pete Janssens unerwartetes Auftauchen ihm eingejagt hatte. Das hätte schiefgehen können. Er war keineswegs an maßgeblicher Stelle an diesem Projekt beteiligt. Die Leute würden mißtrauisch werden, wenn sie sahen, daß er dem Chronoskaphen ungewöhnlich großes Interesse entgegenbrachte.
    Unter der Tür zum Labor aber stand Dr. Janssen und sah Jake Wedell nach, wie der den langen, hell erleuchteten Gang entlangschritt, den Kopf gesenkt, den Blick zu Boden gerichtet, ohne sich ein einziges Mal umzudrehen. Ein eigenartiger Verdacht begann sich in Janssens Bewußtsein zu formen …
     
    Jake Wedell war von Haus aus Elektroniker. Seine Beteiligung an dem Projekt »Chronoskaph« beschränkte sich auf das Entwerfen elektronischer Schaltungen, mit deren Hilfe das Gerät betrieben wurde. Von der Physik der Chronoskaphie verstand er im Grunde genommen wenig. Chronoskaphie, das hieß soviel wie In-der-Zeit-Herumgraben. Für Jake Wedell war der Chronoskaph eine Zeitmaschine, und so wurde er auch in den Nachrichten und Zeitungen genannt, die hin und wieder über »seltsame Experimente im Marine-Labor Green Belt« berichteten, obwohl das Projekt streng geheim war.
    Der Chronoskaph
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