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Die Wundärztin

Die Wundärztin

Titel: Die Wundärztin
Autoren: Heidi Rehn
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ihm über das Gesicht. Zwei helle Falten gruben sich oberhalb der Nasenwurzel ein. Tastend suchte er mit den Fingern unter seinem Hemdkragen und zog behutsam etwas darunter hervor: eine Lederschnur mit einem honiggelben Stein. Im letzten Licht der untergehenden Sonne glich er erstarrtem Feuer. Etwas Schwarzes schien darin gefangen.
    »Hier, für dich. Der passt auf dich auf, damit dir nichts Böses geschieht. Mit seiner Hilfe findest du künftig auch allein zu deinen Leuten zurück.«
    »Auch ohne dich?«
    »Auch ohne mich.« Eine Spur zu hastig beugte er sich herunter und band ihr die Schnur um den Hals. Dabei hörte sie ihn leise aufschluchzen.
    »Danke«, sagte sie und steckte den Stein unter ihr Hemd. Niemand sollte den Schatz entdecken, vor allem nicht Elsbeth, ihre habgierige Cousine.
    »Wie heißt du eigentlich?« Noch einmal suchte sie den Blick seiner tiefgründigen blauen Augen, spürte den Strudel darin, der sie mit sich fortreißen wollte.
    »Eric.«
    »Danke, Eric, für den Stein. Auch dich werde ich jetzt immer wiederfinden können, ganz gleich, wo du steckst.«
    Verschwörerisch zwinkerte sie ihm zu. Dann wandte sie sich um und führte ihn zu Meister Johanns Wagen. Kaum waren sie auf wenige Schritte heran, kam ihr Vater unter der Plane des angrenzenden Zeltes hervor.
    »Vater!« Magdalena flog ihm in die Arme. Freudig drückte er das Mädchen an sich und vergrub das Gesicht in ihren roten Locken. Schließlich drehte er sich zu ihrem jungen Retter um. Sobald er seines Gesichts gewahr wurde, setzte er sie ab und trat zwei Schritte zurück. Dabei erblasste er, das Lächeln in seinen Augen erstarb. »Nein!« war alles, was er herausbrachte.
    Bestürzt verfolgte Magdalena den plötzlichen Sinneswandel. »Das ist Eric. Er hat mich aus dem Feuer in Magdeburg gerettet und zurückgebracht.«
    Zur Bestätigung wollte sie den Stein unter ihrem Hemd hervorziehen und dem Vater zeigen. Der aber schüttelte den Kopf. Wortlos wandte er sich ab und zog sie ohne weitere Erklärung mit sich fort.

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    Erster Teil
    Belagerung
    Freiburg im Breisgau
    Juli bis August 1644
    1
    V iel zu schnell war die Nacht vorüber, viel zu früh graute der Tag. Eine Taube begann ihr aufdringliches Gurren, eine Amsel stimmte tiefkehlig in den morgendlichen Gruß ein. Magdalena schmiegte den schmalen Körper an Erics nackte Brust. Verträumt fuhren ihre Fingerspitzen die Adern seiner muskulösen Oberarme nach. Winzige Schweißtropfen perlten auf der sonnengebräunten Haut. Zärtlich saugte sie die mit den Lippen auf und sog seinen Geruch ein. »Ich liebe dich.«
    »Ich dich auch.« Sacht presste er sie auf den Rücken, ließ den Blick über ihren bloßen Leib gleiten und hauchte einen sanften Kuss mitten darauf. Ihr Atem ging schneller. Ein leichtes Zittern durchlief sie. Schaudernd vor Wonne, stellten sich ihr die Nackenhaare auf.
    »Wie gut, dass wir uns wiedergefunden haben«, flüsterte sie und schnappte spielerisch mit den Zähnen nach seinem Ohrläppchen. »Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, wie ich je ohne dich und deine Liebe sein konnte. Das will ich nie mehr erleben.«
    »Ich hoffe nicht, dass du das jemals musst.« Mit einem leidenschaftlichen Kuss verschloss er ihre Lippen und begann abermals, ihren alabasterweißen Körper mit Liebkosungen zu verwöhnen. Eine neue Woge der Lust durchflutete sie, bis ein lauter Trompetenstoß sie auffahren ließ. Erschrocken sahen sie einander an. Abermals ertönte die Fanfare. Unruhe machte sich unterhalb ihres Liebesnestes breit. Es befand sich auf dem Heuboden einer Scheune in der Freiburger Gerberau. Dort hatten die Zimmerleute der Kaiserlichen, zu denen Eric seit einigen Jahren gehörte, Quartier bezogen.
    »Ob es tatsächlich losgeht?« Magdalena spähte durch die Giebelluke auf den Hof hinunter. Im diffusen Graublau der Dämmerung liefen ein gutes Dutzend Zimmerleute zusammen. Schwere Schritte knallten auf dem Steinboden, Holzdielen knarrten, Rufe wurden laut. Manche der Männer knöpften sich noch im Laufen die Hosen zu und gähnten herzhaft, andere wirkten bereits hellwach und für alles gerüstet. Übermütig schwenkten sie die breitkrempigen Hüte, schulterten die Äxte und schoben sich Zangen und Hämmer in die Gürtel. Sie hatten es eilig, zum Schanzenbau vor den Toren der Stadt auszurücken.
    »Da übt gewiss einer, damit er das Trompeten nicht verlernt.« Eric pustete eine rotblonde Haarsträhne aus dem Gesicht und machte nicht die geringsten Anstalten, sich zu erheben und
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