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Die Wundärztin

Die Wundärztin

Titel: Die Wundärztin
Autoren: Heidi Rehn
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kämpfen für die gerechte Sache des Kaisers!«
    In den Mundwinkeln des Jungen zuckte es. Ein Beben lief durch seinen dünnen, langen Körper. Er räusperte sich, bevor er heiser erklärte: »Dann bring ich dich eben dorthin.« Wie selbstverständlich reihte er sich bei den vorbeiziehenden Söldnerweibern ein. Keine achtete auf die beiden. Hochbepackt mit Beute, eilten sie zur Elbe, um mit einem der vielen Kähne auf die östliche Flussseite überzusetzen, wo sich das Quartier der kaiserlichen Truppen befand. Jemand half ihr ungefragt in den Kahn. Sie zögerte, fürchtete, ihr junger Retter nutzte die Gelegenheit, sie im Stich zu lassen. Dann aber tauchte sein rotblonder Haarschopf neben ihr auf, und sie griff beruhigt nach seiner Hand.
    Friedlich schlummerte das Heerlager im milchigen Licht der schrägstehenden Nachmittagssonne. Die zigtausend Soldaten- und Trossweiberfüße hatten längst die zart keimenden Frühlingsblumen auf den Wiesen ringsum niedergetrampelt. Den Geruch des lichterloh brennenden Magdeburg in der Nase, schien es Magdalena, als ströme ihr nun aus jedem Winkel üppiger Maiduft entgegen. Begierig sog sie ihn ein. Endlos weit erstreckte sich das Lager: Zelte reihten sich an Zelte, Wagen an Wagen, dann folgten wieder Zelte, dazwischen waghalsige Verschläge aus Decken, Ästen und dornigem Gestrüpp, bevor die Gassen abermals breiter und die Unterkünfte wieder prächtiger wurden. In jedem Winkel tummelten sich Männer, Frauen und Kinder, Soldaten und Handwerker. Dazwischen feilschten Marketender und Huren mit ihrer Kundschaft, buhlten Spielleute und Wahrsagerinnen um Aufmerksamkeit. Das Gerassel der Säbel, das Klirren der Klingen und das Knacken der Gewehre waren vertraute Musik in Magdalenas Ohren, selbst die dumpfen Befehle, mit denen ein Feldwebel seine Rotte durch die Gassen scheuchte, wurden zu beruhigendem Gesang. »Da lang!« Ihr rechter Zeigefinger schnellte nach vorn. Noch bevor der Junge sich besinnen konnte, führte sie ihn zielsicher durch das Gewirr der Zelte und Gassen, so wie er sie vorhin durch die Trümmer Magdeburgs gelotst hatte.
    In weiter Ferne verklangen die letzten Schüsse und Explosionen. Auch der Trubel im Lager wurde bedächtiger. Bis zur Unterkunft der Eltern am östlichen Rand war es noch ein gutes Stück zu gehen. Überrascht bemerkte Magdalena, wie die Schritte ihres Retters zögerlicher wurden, und seine Hand fühlte sich feucht an. Sie beschloss, ihn abzulenken. Munter plapperte sie davon, wie Babette, Elsbeth und sie gleich bei Tagesanbruch zum Mausen in die Stadt aufgebrochen waren. Nach der Aufzählung all der vielen Stoffe, Kleider, Töpfe und Tücher, die sie aus den Häusern geholt hatten, ging sie dazu über, zu erklären, dass Elsbeth die Tochter der Schwester ihrer Mutter war, die im letzten Winterlager gestorben war. Auch dass sie mit der schönen Cousine um den tannengrünen Taftrock gestritten hatte, verschwieg sie nicht. Erst als sie zu der Stelle kam, wie er sie vor dem brennenden Balken gerettet hatte, hielt sie erschöpft inne und warf ihm einen ängstlichen Blick zu. Beharrlich starrte er nach vorn. Ein bitterer Zug umspielte seine Mundwinkel, und auf der Wange glitzerte eine Träne. Hastig wischte er sie fort. Es sah nicht so aus, als wolle er noch mehr von ihren Geschichten hören. Also schwieg sie.
    Lange liefen sie nebeneinander her. Magdalena wurde müde und stolperte bald mehr, als dass sie ging. Doch der Junge verlangsamte seinen Schritt nicht. Glutrot leuchtete die Sonne schließlich in ihren Rücken auf, entzündete am Abendhimmel dasselbe Feuer wie am Tag die hungrigen Flammen in der Stadt. Um die Erinnerung zu verscheuchen, richtete Magdalena die Augen stur nach vorn, Richtung Osten, wo irgendwo das Zelt der Eltern sein musste. Endlich tauchte ein gutes Stück entfernt von den übrigen Leiterwagen die vertraute Silhouette eines einzelnen Fuhrwerks mit einem angrenzenden Zelt auf.
    »Meister Johann!« Magdalenas Stimme überschlug sich vor Freude. »Der Wagen da vorn gehört Meister Johann, unserem Feldscher. Endlich sind wir da!«
    »Bist du sicher?« Ihr Retter gab sich keine Mühe, die Enttäuschung in seiner Stimme zu verbergen.
    Heftig nickte sie und fragte, als er stehen geblieben war: »Du hast wohl keinen mehr, zu dem du gehen kannst? Komm doch mit! Meister Johann wird wissen, wo du hinkannst, wenn du sonst niemanden mehr weißt.«
    »Meinst du?« Schüchtern sah er sie an.
    »Ganz bestimmt.«
    Ein Zug der Erleichterung huschte
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