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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers

Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers

Titel: Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
Autoren: Stefan Zweig
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wurde als Großindustrieller zwar respektiert, aber meine Mutter, obwohl in der glücklichsten Ehe mit ihm verbunden, hätte nie geduldet, daß sich seine Verwandten mit den ihren auf eine Linie gestellt hätten. Dieser Stolz, aus einer ›guten‹ Familie zu stammen, war bei allen Brettauers unausrottbar, und wenn in späteren Jahren einer von ihnen mir sein besonderes Wohlwollen bezeigen wollte, äußerte er herablassend: »Du bist doch eigentlich ein rechter Brettauer«, als ob er damit anerkennend sagen wollte: »Du bist doch auf die rechte Seite gefallen.«
    Diese Art Adel, den sich manche jüdische Familie aus eigener Machtvollkommenheit zulegte, hat mich und meinen Bruder schon als Kinder bald amüsiert und bald verärgert. Immer bekamen wir zu hören, daß dies ›feine‹ Leute seien und jene ›unfeine‹, bei jedem Freunde wurde nachgeforscht, ob er aus ›guter‹ Familie sei und bis ins letzte Glied Herkunft sowohl der Verwandtschaft als des Vermögens überprüft. Dieses ständige Klassifizieren, das eigentlich den Hauptgegenstand jedes familiären und gesellschaftlichen Gesprächs bildete, schien uns damals höchst lächerlich und snobistisch, weil es sich doch schließlich bei allen jüdischen Familien nur um einen Unterschied von fünfzig oder hundert Jahren dreht, um die sie früher aus demselben jüdischen Ghetto gekommen sind. Erst viel später ist es mir klar geworden, daß dieser Begriff der ›guten‹ Familie, der uns Knaben als eine parodistische Farce einer künstlichen Pseudoaristokratie erschien, eine der innersten und geheimnisvollsten Tendenzen des jüdischen Wesens ausdrückt. Im allgemeinen wird angenommen, reich zu werden sei das eigentliche und typische Lebensziel eines jüdischen Menschen. Nichts ist falscher. Reich zu werden bedeutet für ihn nur eine Zwischenstufe, ein Mittel zum wahren Zweck und keineswegs das innere Ziel. Der eigentliche Wille des Juden, sein immanentes Ideal ist der Aufstieg ins Geistige, in eine höhere kulturelle Schicht. Schon im östlichen orthodoxen Judentum, wo sich die Schwächen ebenso wie die Vorzüge der ganzen Rasse intensiver abzeichnen, findet diese Suprematie des Willens zum Geistigen über das bloß Materielle plastischen Ausdruck: der Fromme, der Bibelgelehrte, gilt tausendmal mehr innerhalb der Gemeinde als der Reiche; selbst der Vermögendste wird seine Tochter lieber einem bettelarmen Geistesmenschen zur Gattin geben als einem Kaufmann. Diese Überordnung des Geistigen geht bei den Juden einheitlich durch alle Stände; auch der ärmste Hausierer, der seine Packen durch Wind und Wetter schleppt, wird versuchen, wenigstens einen Sohn unter den schwersten Opfern studieren zu lassen, und es wird als Ehrentitel für die ganze Familie betrachtet, jemanden in ihrer Mitte zu haben, der sichtbar im Geistigen gilt, einen Professor, einen Gelehrten, einen Musiker, als ob er durch seine Leistung sie alle adelte. Unbewußt sucht etwas in dem jüdischen Menschen, dem moralisch Dubiosen, dem Widrigen, Kleinlichen und Ungeistigen, das allem Handel, allem bloß Geschäftlichen anhaftet, zu entrinnen und sich in die reinere, die geldlose Sphäre des Geistigen zu erheben, als wollte er – wagnerisch gesprochen – sich und seine ganze Rasse vom Fluch des Geldes erlösen. Darum ist auch fast immer im Judentum der Drang nach Reichtum in zwei, höchstens drei Generationen innerhalb einer Familie erschöpft, und gerade die mächtigsten Dynastien finden ihre Söhne unwillig, die Banken, die Fabriken, die ausgebauten und warmen Geschäfte ihrer Väter zu übernehmen. Es ist kein Zufall, daß ein Lord Rothschild Ornithologe, ein Warburg Kunsthistoriker, ein Cassirer Philosoph, ein Sassoon Dichter wurde; sie alle gehorchten dem gleichen, unbewußten Trieb, sich von dem frei zu machen, was das Judentum eng gemacht, vom bloßen kalten Geldverdienen, und vielleicht drückt sich darin sogar die geheime Sehnsucht aus, durch Flucht ins Geistige sich aus dem bloß Jüdischen ins allgemein Menschliche aufzulösen. Eine ›gute‹ Familie meint also mehr als das bloß Gesellschaftliche, das sie selbst mit dieser Bezeichnung sich zubilligt; sie meint ein Judentum, das sich von allen Defekten und Engheiten und Kleinlichkeiten, die das Ghetto ihm aufgezwungen, durch Anpassung an eine andere Kultur und womöglich eine universale Kultur befreit hat oder zu befreien beginnt. Daß diese Flucht ins Geistige durch eine unproportionierte Überfüllung der intellektuellen Berufe dem
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