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Die Weiße Ordnung

Titel: Die Weiße Ordnung
Autoren: L. E. Modesitt
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letzten Worte flüsterte sie, doch Cerryl verstand sie klar und deutlich, als hätte sie laut gesprochen.
    Er nickte nur und wusste, dass er nicht mitbekommen sollte, was sie gesagt hatte. Schnell trat er über die Schwelle und blieb neben seiner Pritsche stehen, ließ das Buch unter die Decke gleiten und schnappte sich den eisenbeschlagenen Holzeimer vom langen Haken, der in den Querbalken hinter der Tür getrieben worden war. Barfüßig schlüpfte er zur Tür hinaus, sprang die Verandastufen hinunter und auf den Weg, der zum Bach auf dem Hügel hinter dem Haus führte.
    Er wünschte, sie könnten das Wasser aus dem Teil des Baches schöpfen, der sich unmittelbar vor dem alten Haus entlang schlängelte, doch dort färbte sich das Wasser bereits orange vom Eisen auf den Halden. Und es roch nach Schwefel, manchmal auch nach Eisen. Cerryls Nasenflügel zuckten beim Gedanken an diesen Geruch, während er den Weg zur Quelle des Baches hinaufstapfte.
    Ein Vogel trällerte in der Abenddämmerung; er musste irgendwo in den Wacholdersträuchern sitzen, die auf den Flächen zwischen den Halden und orangefarbenen kleinen Laugenseen wuchsen. Cerryl blickte nach rechts zum Tunneleingang, dessen Name in die Steine über den Balken gehauen worden war und nichts Gutes verhieß. Er konnte zwar den Namen nicht lesen, doch er fühlte etwas tief im Tunnel, das man besser in Ruhe ließ. Dennoch war die Dämmerung, die die Augen seiner Tante und auch die seines Onkels anstrengte, für ihn hell wie der Morgen kurz vor Sonnenaufgang – aber davon wussten Nall und Syodor nichts.
    Der Vogelruf verstummte und das Zirpen der Insekten wurde lauter. Cerryl fragte sich, ob es wohl Grillen waren oder andere Krabbeltiere. Er zuckte die Schultern. Für Insekten hatte er sich noch nie sonderlich interessiert. Er wandte sich nach Westen und trabte den gestampften Lehmweg hinauf zur Quelle.
    Das schwache Gurgeln des Baches wurde vom lauten Zirpen fast übertönt, als er die Quelle erreichte. Fast silberfarben quoll das Wasser aus der Erde, nur dort, wo es über den Steindamm floss, der vor Jahren errichtet worden und nun dick mit Moos überzogen war, schimmerte es grün.
    Cerryl schlenderte langsam an der südlichen Seite der Quelle entlang, bis er den Steindamm erreichte. Dort stand er im Schatten der Dämmerung und starrte aufs Wasser, das in das kleine Becken plätscherte, und auf die wilden Weinstöcke, die sich auf den rötlichen Felsen über dem Damm festkrallten.
    Woher kam wohl das Wasser?
    Er runzelte die Stirn und betrachtete den Felsvorsprung und das dunkelsilberne, unruhige Wasser des kleinen Weihers, das einerseits einem Spiegel glich und andererseits auch wieder nicht. Konnte er dem Spiegel entlocken, wo das Wasser herkam?
    Er warf einen verstohlenen Blick auf das in der Abenddämmerung dunkel schimmernde Quellwasser und stellte sich vor … was stellte er sich eigentlich vor? Gab es ein Loch im roten Sandstein, das in die Tiefe führte? Cerryl atmete tief ein, die Lippen fest aufeinander gepresst. Den leeren Eimer zu seinen Füßen vergaß er für einen Augenblick.
    Silberne Nebelschleier wirbelten über dem Weiher, Nebelschleier, so begriff Cerryl, die nur er sehen konnte. »Nall und Syodor merken es sowieso nicht«, murmelte er leise. Er zerbrach sich den Kopf darüber, warum er das überhaupt laut aussprechen musste, doch er wusste, dass er nicht anders konnte, wusste, dass diese geflüsterten Worte all seinen Trotz ausdrückten.
    Das grauhaarige Bild Nalls flackerte im Nebel auf und Cerryl wischte es beiseite auf seiner Suche nach der Herkunft des Wassers. Dunkelheit breitete sich über dem Weiher aus, nur Dunkelheit.
    Kurze Zeit später bekam er Kopfschmerzen und holte noch einmal tief Luft, keuchte beinahe, bevor er sich zum Eimer bückte und ihn ins Wasser tauchte. Er spritzte die ausgefransten Hosenbeine, die nackten Füße und den rissigen Lehmboden nass.
    Dann hob er den schweren Eimer aus dem Wasser und machte sich auf den Heimweg, barfuß über den vielbegangenen Lehmweg. Als er an den Wacholdersträuchern am Fuße des Hügels vorbeischlenderte, die in etwa seine Größe erreichten, fiel sein Blick auf den Weg.
    Ein tiefer Atemzug folgte, als er in der Ferne Syodor erblickte, der jedoch noch mehr als eine Meile entfernt dahinmarschierte. Cerryl beschleunigte den Schritt, passte jedoch auf, dass das Wasser nicht aus dem Eimer schwappte.
    »Onkel Syodor ist schon am Fuße des Hügels«, verkündete er, als er das Haus
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