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Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)

Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)

Titel: Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)
Autoren: Frank Wittig
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und das Geschäft lukrativer. Die Versorgung »in der Fläche« wird immer schlechter. Aber selbst wenn die überflüssigen Orthopäden – oder um welche Fachrichtung es auch immer gehen mag – sich verstärkt um die Landbevölkerung kümmern würden, um dieser im Ernstfall »einen leichteren Zugang zur medizinischen Versorgung zu ermöglichen« – den Kunden sinnlose Behandlungen als medizinische Leistung zu verkaufen, das ist Zynismus pur. Aber Orthopäde X meint das ernst. Das höre ich an seiner Stimme. Und mehr noch, er deutet ziemlich unmissverständlich an, dass das in der Medizin ein gängiges Muster ist: »Das machen doch alle.« Mit welchem Selbstverständnis schauen solche Mediziner morgens in den Spiegel? Sagen sie sich vielleicht: »Ich hab ja Frau und Kinder: Wie soll ich denen denn sonst ein bisschen Wohlstand bieten?« Oder: »Mal nicht so kleinlich. In der Regel tragen die Operierten ja keinen Schaden davon.« Oder sagen sie einfach nur: »Das machen doch alle.« Ich schüttele ungläubig den Kopf.
    Hierzu noch ein kleines Zitat von Edmund Neubauer. Er ist Professor an der Universität Witten-Herdecke und leitet dort das Institut für Forschung in der Operativen Medizin. Er befasst sich also professionell mit Studien in der Chirurgie. Als ich ihn zur Qualität der Moseley-Studie befrage, erklärt er, das sei eine exzellente Studie. Und: »Ich wundere mich auch ein bisschen darüber. Warum ändern wir nicht die arthroskopische Therapie, wenn eine Studie nachgewiesen hat, dass die Operation keinen Effekt zeigt? Es ist berechtigt, diese Frage zu stellen. Das hat vielleicht etwas mit den Vergütungssystemen in unserem Gesundheitswesen zu tun.«
    Jetzt habe ich die Geschichte von den deutschen Orthopäden und der Moseley-Studie so weit erzählt, wie es derzeit möglich ist. Wir verlassen nun die Orthopädie. Aber wir werden noch einmal zu ihr zurückkehren. Zurückkehren müssen, denn die Orthopädie ist besonders reich an Beispielen für überflüssige chirurgische Interventionen.
Nachtrag
    Auf der Website der DGOOC ist eine neue Leitlinie für die Behandlung der Gonarthrose angekündigt. 3 Bis Ende 2012 soll sie fertig sein. Sehen Sie doch einmal nach, wie weit die Moseley-Studie Eingang in die aktuellen Empfehlungen der Fachgesellschaft gefunden hat.

Gynäkologen: ganz vorne mit dabei
    Leider stoßen wir auch in der Gynäkologie vielfach auf diese unfassbaren Verhältnisse. Die Frauenheilkunde ist ganz vorne mit dabei, wenn wir über das Thema »systematische Überbehandlung« sprechen. Oder wollen wir es etwas deutlicher »ökonomisch motivierte Operationen« nennen? Oder schlicht: »Geldschneiderei«? Es ist ein besonderer Umstand, der Frauen – vor allem Frauen nach den Wechseljahren – zu bevorzugten Opfern von chirurgischer Überbehandlung werden lässt: Die Organe, um die es hier geht – Eierstöcke und Gebärmutter –, sind nicht überlebenswichtig. In den Augen vieler Gynäkologen sind sie nach der Menopause offenbar sogar überflüssig. Das scheint die Hemmschwelle für eine Explantation zu senken.
    Wenn ich für unser Wissenschaftsmagazin im Südwestrundfunk über diese »Schattenseite der Medizin« berichte, ist es oft ein aufwendiger Arbeitsschritt, Opfer der überflüssigen Prozeduren oder medikamentösen Behandlungen zu finden. Opfer, die auch bereit sind, mit ihrer privaten, bisweilen auch intimen Geschichte vor die Kamera zu gehen. Es gibt Kollegen, die »rollen mit den Augen«, wenn sie davon hören. Und sagen Sätze wie: »Nicht schon wieder eine Patientengeschichte.« Doch damit die kritischen Inhalte wirklich bei Zuschauern oder Lesern ankommen, sind diese Berichte persönlich Betroffener in meinen Augen unverzichtbar. Schließlich ist es eine Sache, einen Fachmann oder eine Fachfrau sagen zu hören: »Ja, es wird bei uns zu häufig operiert.« Es ist allerdings eine ganz andere Sache, einer Frau zu begegnen, deren Gynäkologe bei ihr beginnenden Gebärmutterkrebs diagnostizierte. Der sie zur sofortigen Operation drängte, weil jeder Tag des Wartens unverantwortbar und mit schlimmsten Risiken verbunden sei. Und dann von dieser Frau zu hören, dass sie zu zwei weiteren Gynäkologen ging, die ihr beide einen völlig unauffälligen Befund bescheinigten.
Männliche Gynäkologie?
    Doch bevor wir ein solches Beinaheopfer treffen, besuchen wir zwei Gynäkologinnen, die seit Jahrzehnten auf die Geldschneiderei in ihrer Disziplin hinweisen. Sie erlauben uns, einen Blick hinter die
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