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Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)

Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)

Titel: Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)
Autoren: Frank Wittig
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die Idee gut.
Die Macht des Placebos
    Der Placeboeffekt spielt bei fast allen medizinischen Eingriffen eine Rolle. Das suggestive Potenzial des in strahlendes Weiß gekleideten Fachmanns, das Gefühl »Jetzt kümmert sich jemand um mein Problem«, das überzeugende Konzept der medizinischen Behandlung: All das bewirkt, dass unser Gehirn ein positives Ergebnis erwartet. Und da das Gehirn so komplex mit dem ganzen Körper verschaltet ist, sind die erstaunlichsten Placebowirkungen möglich. Vor allem bei der Behandlung von Schmerzen ist die Macht des Placebos groß. Man hat im 2. Weltkrieg Schwerverletzte von ihren Schmerzen befreit, indem man ihnen – mangels echter Schmerzmittel – eine Kochsalzlösung injizierte. Mit dem Hinweis, es sei Morphium.
    Jetzt fragen Sie sich vielleicht: Wie um Himmels willen bewerkstelligt man bei einem endoskopischen Eingriff eine Placebokontrolle? Bei einer Medikamentenstudie ist das leicht. Man hat zwei Gruppen von Probanden. Eine der Gruppen bekommt ein wirkungsloses Medikament. Das ist das Placebo, eine Pille ohne Wirkstoff. Die Probanden wissen nicht, zu welcher Gruppe sie gehören. Die Studienteilnehmer können den Unterschied beim Pillenschlucken ja nicht schmecken. Aber bei einer Operation? Bruce Moseley sah darin kein Problem. Die Patienten erhielten eine lokale Narkose. Der Scheineingriff wurde – wie der echte Eingriff auch – hinter einem Vorhang durchgeführt. Die Knie bekamen in beiden Gruppen zwei originalgetreue Hautschnitte, die in der echten OP als echter Zugang für die Endoskope dienten. Um die Spülung zu simulieren, wurde hinter dem Vorhang ein wenig im Wassereimer geplätschert. Und die Mediziner ruckelten beim Scheineingriff auch ordentlich am Bein der Patienten. Die Placebogruppe erlebte also genau das Gleiche wie die Patienten, die tatsächlich operiert wurden. Um die Illusion perfekt zu machen, liefen auf dem Monitor über der Placebooperation Bilder, die bei einer echten Knorpelglättung von der Endoskopkamera aufgenommen worden waren.
    Natürlich wussten die Patienten nicht, ob sie zu der Placebo- oder zu der echten OP-Gruppe gehörten. Die Studie ist verblindet, sagt der Fachmann. Nur mit placebokontrollierten und verblindeten Studien kann man die suggestive Kraft von medizinischen Behandlungen enttarnen und die echte medizinische Wirksamkeit einer Prozedur oder eines Medikaments zeigen. Prinzipiell mussten die Patienten selbstverständlich informiert sein und der Teilnahme an der Studie zugestimmt haben. Die Patienten wurden zwei Jahre lang nachuntersucht. Überprüft wurden drei Aspekte: die Beweglichkeit des Knies, der Schmerzmittelverbrauch und die Einschätzung der Schmerzpatienten zum Erfolg des Eingriffs. Das Ergebnis hatte keiner erwartet. Ein Hammer: Es gab keinen Unterschied zwischen Placebo und echter Operation! Eine bittere Pille für die Knorpelglätter.
    Die Knorpelglättung im Kniegelenk ist Hightechschamanismus. Eine gewisse Schmerzlinderung erfolgt ganz offensichtlich allein durch das »Tamtam« um die minimalinvasive Operation. Die suggestive Kraft geht hier nicht – wie bei »Naturschamanen« – von gemurmelten Beschwörungen, magischen Gegenständen und rituellen Tänzen aus. Hightechschamanen beeindrucken mit medizinischen Apparaturen, ihrem weißen Kittel und der Aura des überlegenen Spezialistentums. Die Sinnlosigkeit der Knorpelglättung wurde 2008 von einer weiteren Studie bestätigt. 2 Seitdem kann sich die Fachwelt nicht mehr mit dem »Eine Studie ist keine Studie«-Argument aus der Affäre ziehen.
Die Reaktion der Fachleute
    Der erste Orthopäde, den ich mit dem Ergebnis der Studie konfrontierte, war der orthopädische Chirurg Dr. M. Er war mir von der Fachgesellschaft, der DGOOC, als Kniefachmann empfohlen worden und operierte damals an den Münchner Schön-Kliniken. Für meine Fernsehdokumentation Betrifft: Überflüssige Operationen für den Südwestrundfunk hatte er uns gerade liebevoll seine Kunst vorgeführt. In gestochen scharfen Bildern aus dem Kniegelenk seines Patienten hatten wir gesehen, wie der Fräskopf des Endoskops über den Knorpel geraspelt war. »Ich hab die Fräse selbst weiterentwickelt. Die Operation mache ich ein paar Hundert Mal pro Jahr«, hatte Dr. M. erklärt. Und der Stolz in seiner Stimme war nicht zu überhören gewesen.
    Als Dr. M. zum Interview vor der Kamera steht, erinnert mich sein grüner Mundschutz an die Maske eines Bankräubers. Ich erlaube mir an dieser Stelle bewusst diesen Vergleich
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