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Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Titel: Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert
Autoren: Joël Dicker
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es will. Das Publikum wollte Marcus Goldman, aber da Marcus Goldman sich in Florida auf die faule Haut gelegt hat, haben die Leser sich das Buch von einem anderen gekauft. Verstehst du was von Wirtschaft, Marc? Bücher sind ein austauschbares Produkt geworden. Die Leute wollen ein Buch, das ihnen gefällt, sie ablenkt und unterhält. Und wenn du ihnen das nicht lieferst, tut es dein Nachbar, und du bist abgemeldet.«
    Douglas’ Orakelsprüche hatten mir einen gehörigen Schrecken eingejagt, und ich stürzte mich in die Arbeit: Ich fing um sechs Uhr morgens an und hörte nicht vor neun oder zehn Uhr abends auf. Im Rausch der Verzweiflung verbrachte ich ganze Tage in meinem Büro, schrieb ohne Unterlass, saugte mir Wörter aus den Fingern, reihte Satz um Satz aneinander und sammelte Einfälle für meinen Roman. Doch zu meinem größten Leidwesen kam nichts Brauchbares dabei heraus. Denise verbrachte ihrerseits die Tage damit, sich Sorgen um meinen Zustand zu machen. Da sie nichts mehr zu tun hatte – kein Diktat, das sie aufnehmen, keine Post, die sie durchsehen, keinen Kaffee, den sie kochen musste –, tigerte sie im Gang auf und ab, und wenn sie es nicht mehr aushielt, trommelte sie an meine Tür.
    »Ich flehe Sie an, Marcus, machen Sie auf!«, jammerte sie. »Kommen Sie aus Ihrem Büro, und gehen Sie ein bisschen im Park spazieren. Sie haben heute noch nichts gegessen!«
    Ich schrie zurück: »Ich habe keinen Hunger! Kein Buch, kein Essen!«
    Sie fing fast an zu schluchzen. »Sagen Sie nicht so schreckliche Sachen, Marcus. Ich gehe zum Deli an der Ecke und hole Ihnen Roastbeefsandwiches, die mögen Sie doch. Ich beeile mich! Bin gleich wieder da!«
    Ich hörte, wie sie sich ihre Handtasche schnappte, zur Wohnungstür lief und gleich darauf die Treppe hinunterstürmte, als könnte ihre Eile etwas an meiner Situation ändern. Ich hatte endlich erkannt, woran ich so litt: Aus dem Nichts heraus ein Buch zu schreiben war mir leichtgefallen. Aber jetzt, wo ich mich auf dem Gipfel des Ruhms befand, jetzt, wo ich meinem Talent gerecht werden und noch einmal den beschwerlichen Marsch zum Erfolg antreten sollte – denn nichts anderes ist das Verfassen eines guten Romans –, fühlte ich mich der Sache nicht mehr gewachsen. Die Schriftstellerkrankheit hatte mich erwischt, und niemand konnte mir helfen: Alle, mit denen ich darüber redete, meinten, das sei Kinderkram und bestimmt normal, und wenn ich mein Buch nicht heute schriebe, dann eben morgen. Ich versuchte, bei meinen Eltern in Montclair zwei Tage am Stück in meinem alten Zimmer zu arbeiten, in demselben Zimmer, in dem ich zu meinem ersten Roman inspiriert worden war. Aber dieser Versuch scheiterte kläglich, woran meine Mutter vielleicht nicht unschuldig war, denn sie saß beide Tage neben mir und wiederholte, den Blick fest auf den Bildschirm meines Notebooks geheftet, immer wieder: »Das ist sehr gut, Markie.«
    »Mama, ich habe nicht eine Zeile geschrieben«, sagte ich irgendwann.
    »Aber ich spüre, dass es gut wird.«
    »Mama, wenn du mich eine Weile allein lassen könntest …«
    »Allein lassen? Warum? Hast du Blähungen? Musst du furzen? Du kannst in meiner Gegenwart furzen, mein Schatz. Ich bin deine Mutter.«
    »Nein, ich muss nicht furzen, Mama.«
    »Bist du hungrig? Hast du Lust auf Pancakes? Waffeln? Etwas Herzhaftes? Eier vielleicht?«
    »Nein, ich bin nicht hungrig.«
    »Warum soll ich dich dann allein lassen? Willst du damit sagen, dass dich die Anwesenheit der Frau stört, die dir das Leben geschenkt hat?«
    »Nein, du störst mich nicht, aber …«
    »Aber was ?«
    »Nichts, Mama.«
    »Was du brauchst, ist eine Freundin, Markie. Glaubst du etwa, ich wüsste nicht, dass du dich von dieser Schauspielerin aus dem Fernsehen getrennt hast? Wie hieß sie noch?«
    »Lydia Gloor. Wir waren nicht richtig zusammen, Mama. Ich meine, es war nur eine Affäre.«
    » Nur eine Affäre, nur eine Affäre! So halten das die jungen Leute heutzutage: immer nur Affären , und mit fünfzig haben sie eine Glatze und stehen ohne Familie da!«
    »Was hat die Glatze damit zu tun, Mama?«
    »Gar nichts. Aber findest du es richtig, dass ich aus einer Zeitschrift von deiner Beziehung mit diesem Mädchen erfahre? Welcher Sohn tut seiner Mutter so etwas an, sag? Stell dir vor, da gehe ich kurz vor deiner Abreise nach Florida zu Scheingetz – dem Friseur, nicht dem Metzger –, und dort sehen mich alle so komisch an. Ich frage, was los ist, und da hält mir Mrs Berg mit der
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